Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
sie auf und trug das strampelnde Mädchen hinaus. Ich blieb sitzen und starrte vor mich hin, auf die Geneverpfützen, die in der Hitze des Raumes zu trocknen begannen. Warum hast du nicht auch eine Ines? dachte ich.
Er kam noch einmal zurück. In der Unterhose. Sein mächtiger Brustkorb war dicht behaart. »Ich habe dir ein Bett in meinem Arbeitszimmer gemacht. Die Tür neben dem Klo. In der Küche steht eine Kanne mit frischem Hibiskustee. Er hilft gegen Kater. Bis morgen, Piet. Dann reden wir über alles.«
Ich ging hinüber in die Küche und trank eine Tasse der dunkelroten Flüssigkeit. Der Raum, in dem ich schlafen sollte, war vollgestopft mit Papierkram, und doch herrschte peinliche Ordnung. An der Wand hingen einige Drucke von van Gogh. Alleen mit Bäumen, die wie winkende Menschen aussahen. Sie standen Spalier um einen Weg, der ins Nichts zu führen schien.
Und dann war da noch ein Bild. Viel dilettantischer gemalt, aber der Sog des Motivs war unbeschreiblich. Es war eine Küstenlinie, vom Meer aus gesehen. Berge, hinter denen man ein Paradies vermuten konnte, über die ganze Breite des ungewöhnlich ausladenden Querformats. Davor eine silbrige Straße von Mondlicht, die den Blick des Betrachters über ein irisierendes Meer leitete. Das Motiv kam mir bekannt vor. Irgendwo hatte ich es schon einmal gesehen. Plötzlich fiel es mir ein. Das Großfoto von Sumatra aus Dicks Schiffskneipe. Der Maler mußte es als Vorlage benutzt haben.
Ich zog mich aus und kroch unter die frisch bezogene Decke einer Schlafcouch. Es war eisig kalt, und es dauerte lange, bis das Drehen der Bilder im Kopf endlich aufhörte. Was Dick wohl mit »Deutschling« gemeint hatte? Mir fiel das Märchen vom Däumling ein. Ich hatte die Geschichte vergessen, wußte nur noch, daß der Däumling winzig war, so klein, daß er unter einen Fingerhut paßte. Morgen würde ich die Geschichte nachlesen in dem Buch, das Dick mir geschickt hatte.
Drittes Kapitel
A ls ich erwachte, beugte sich eine verschleierte Frau über mich. Ihr Schleier berührte mein Haar, und ich sah ihr Gesicht von unten, den Mund mit den feuchten Lippen, die Nasenlöcher wie zwei Höhleneingänge. Es war der Tod. Aber er war sanft und freundlich wie eine Mutter. Nur gebar sie mich nicht, sie tat das Gegenteil, sie holte mich zurück in ihren Leib. Dann verflüchtigte sich der Kopf wie Rauch durch die Maschen des Schleiers, und ich erwachte noch einmal und sah den Vorhang, durch den kaltes Licht fiel. Die Bettdecke vor mir war von meinem Atem bereift. Während ich mich vorsichtig erhob, um mein verquollenes Gehirn in der Schale meines Schädels möglichst wenig zu bewegen, fiel mir nach und nach ein, was gestern geschehen war. Je nüchterner ich wurde, desto mehr fragte ich mich, was ich hier überhaupt wollte. Jeder kennt diese Fragen, die man sich immer zu spät stellt. Sie gleichen dem Rucken des Fisches am Angelhaken. Er beißt sich dadurch nur um so fester in die Kiemen.
Es war neun Uhr. Ich schlich durch die kalte Wohnung hinüber ins Bad. Hinter Dicks Schlafzimmertür vernahm ich sein gleichmäßiges Schnarchen. Mit seinen Ängsten konnte es nicht allzuweit her sein, wenn er so lange schlief. Ich ließ kaltes Wasser in meine Handflächen fließen und tauchte mein Gesicht hinein. Mein Spiegelbild belebte sich etwas. Ich fand, daß ich älter aussah als sonst. Das hob meine Stimmung ein wenig. Vielleicht würde ich tatsächlich eines Tages endlich den ewigen Jungen in mir los. Dann ging ich in die Küche.
Ines stand vor dem Küchenschrank und hantierte an der Kaffeemaschine. Sie hatte den Tisch gedeckt: Margarine, Berliner, Brotscheiben und Schinken. Es hätte schlechter aussehen können.
Sie wirkte ziemlich verändert, ungeschminkt und unfrisiert. Sie sah jünger aus als gestern abend, fast wie ein Kind noch. Sie trug einen schmuddeligen Bademantel, der vorne aufklaffte. Immer wieder kam ihre Brust zum Vorschein, und immer wieder zupfte sie am Revers, um ihre Blöße zu bedecken. Dabei rauchte sie freihändig eine Zigarette, die nach Bogartmanier an ihrer Unterlippe klebte.
»Gut geschlafen?« Sie krächzte ziemlich und wirkte ungeheuer souverän. Es hätte nur noch gefehlt, daß sie mich »Kleiner« nannte. Ich sagte, daß ich nicht wüßte, wie ich geschlafen hätte. Dies sei wohl das, was man »gut« nennt. Sie sah mich skeptisch an, dann lächelte sie, legte die Zigarette aus der Hand, zog ihren wieder bis zum Nabel klaffenden Bademantel fest zusammen und sagte:
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