Blind vor Wut
man sie nur ließe, genau dem richtigen Mann begegnen, der ihr dazu verhelfen würde.
Ich sah ihr in die flehenden Augen und lächelte sie fest und beruhigend an. »Ich weiß, du wolltest nur freundlich sein«, sagte ich. »Meine Güte, Mama Carol, mich musst du nicht überzeugen! Ich fürchte allerdings, dass die Bank es ebenfalls weiß.«
»W-was?«
»Ja, siehst du das denn nicht?«, fuhr ich fort. »Siehst du denn nicht, dass das alles ein sorgfältig durchdachter Plan ist, um zu beweisen, dass du nicht in der Lage bist, mir ein sittsames Zuhause zu bieten? Aber Mama Carol, ich würde wetten, es hat bei jedem Mal, wenn du auf diese unschuldige Weise freundlich zu einem Mann gewesen bist, einen Zeugen gegeben. Ich würde einen Eid darauf leisten, dass dieser Kerl, der dich heute beleidigt hat, dich dazu bringen wollte, die Polizei zu rufen, damit er behaupten konnte, du hättest ihn ermutigt! Und noch etwas, Mama Carol«, ich beugte mich bedeutsam vor. »Ich würde schwören, die Bank hat bereits alle fingierten Beweise zusammen, die sie braucht, und es fehlt nicht mehr viel, um dich aus der Wohnung zu werfen und dich um deine Hälfte des Erbes zu bringen!«
Ungeheuerlich? Natürlich. Aber vergessen Sie nicht, mit welcher Mentalität ich es zu tun hatte.
Dennoch fiel sie nicht so schnell darauf herein, wie ich erwartet hatte. Tatsächlich warf sie nach langem Stirnrunzeln den Kopf in den Nacken und lachte.
»Ach, Herbie, Schätzchen! Das ist das Verrückteste, was ich jemals gehört habe!«
»Na gut«, sagte ich nur.
»Eine große Bank würde doch so etwas nie tun! Das würden die nicht wagen!«
»Na gut«, wiederholte ich.
Ich stand auf und ging in Richtung meines Zimmers. Sie war sofort beunruhigt und stellte sich mir eilig in den Weg.
»Tut mir leid, Schätzchen. Ich weiß, wie klug du bist, und wenn du wirklich glaubst – bitte, Herbie!« Sie schlang ihre Arme um mich. »Sei doch nicht wütend auf mich.«
»Entschuldige bitte«, erklärte ich. »Ich fürchte, ich bin zu sehr getroffen, um jetzt mit dir zu reden.«
»Aber, Schätzchen …«
»Nein. Ein Junge erträgt so etwas selbst von seiner eigenen Mama nur in begrenztem Maße.«
Ich löste mich aus ihrer Umarmung. Sie stapfte hinter mir her, ich ging in mein Zimmer und schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Sie blieb draußen stehen, klopfte schüchtern an und fing an zu weinen, während sie um Verzeihung flehte. Ich ging ins Bad und schloss die Tür. Ich beugte mich unter das Waschbecken und hob dort eine der großen, viereckigen Bodenfliesen an.
Papa hatte in der Wohnung ein Büro gehabt. Gegen Ende seines Lebens führte er den Großteil seiner Geschäfte von dort aus und ging nur noch selten in die Zentrale in der Innenstadt. Wie nicht anders von ihm zu erwarten, betrog er bei den Steuern, ließ sich, wann immer möglich, in bar bezahlen – was bei der Art von Kunden, die er hatte, einfach war – und gab diese Beträge bei der Steuererklärung nicht an.
In der Nacht, als ich ihn umbrachte, lagen fast fünfzigtausend Dollar im Safe.
Das Geld befand sich, bis auf einen Betrag für meine notwendigen Ausgaben, in einer metallenen Wertkassette unter der Fliese.
Ich hob sie aus ihrem Versteck, öffnete sie und nahm eine Handvoll Scheine heraus. Ich steckte sie in meine Brieftasche, stellte die Kassette in die Aussparung zurück und legte die Bodenfliese wieder auf.
Dann wusch ich mir ausgiebig die Hände und lauschte auf Carols gedämpftes Flehen; schließlich befand ich, dass sie die lächerlichen Lügen, die ich ihr aufgetischt hatte, endlich geschluckt hatte. Aus Erfahrung wusste ich, dass es, wenn man diesen Punkt einmal erreicht hatte, nahezu unmöglich war, ihr die Lügen wieder auszureden, denn das Beinah-Vakuum in ihrem Kopf klammerte sich vor Todesverzweiflung an die paar Ideen, die durch ihren massiven elfenbeinernen Schädel hereindrangen.
Als ich die Tür öffnete, fiel sie mir in die Arme. Sie war fast hysterisch vor Dankbarkeit für meine Vergebung und verdammte sich ausgiebig dafür, mir nicht geglaubt zu haben.
»Ich weiß, du hast recht, Herbie, Liebling! Ach, ich habe gleich gewusst, wie recht du hast, als ich in Ruhe darüber nachgedacht habe! Kannst du mir jemals verzeihen, Schätzchen?«
»Ach, da gibt es nichts zu verzeihen«, meinte ich großzügig. »Jetzt zählt nur noch, wie ich meine Mama Carol vor der Katastrophe bewahren kann, die ihr droht.«
Autsch, dachte ich. Vorsicht, Junge!
Sie sah mich voller Liebe
Weitere Kostenlose Bücher