Blind vor Wut
und Vertrauen an. »Du bist so süß, Herbie. Sag mir nur, was ich tun soll, und ich tu’s.«
»Du kannst auf mich zählen«, sagte ich. »Im Moment möchte ich, dass du die Haustür abschließt, wenn ich weg bin. Schließ ab, und lass niemanden herein, bis ich zurück bin. Absolut niemanden, verstanden? Keinen Gasableser, keinen Hausmeister, niemanden.«
Sie nickte nervös. »Gehst du weg, Herbie?«
»Ich gehe nur spazieren«, antwortete ich. »Ich muss in Ruhe nachdenken, ein guter Spaziergang gibt mir immer einen klaren Kopf.«
»Könnte ich – würde es dir was ausmachen, wenn ich mitkomme?«
»O nein«, lehnte ich ab. »Nein, das ist nicht nötig.«
»Aber ich möchte gern, Schätzchen. Ehrlich!«
Ich lachte freundlich und sagte, ich wüsste doch, dass sie es nur nett meinte. »Davon will ich nichts hören, Mama Carol. Das lasse ich nicht zu.«
»Herbie, bitte …« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Lass mich mitgehen! Ich … ich hab Angst hier allein. Es ist so dunkel und trist, und … und, ach, du weißt doch, was hier alles passiert ist – ich kann nicht …«
»Ich weiß«, unterbrach ich sie traurig. »Aber dir ist ja bekannt, wie der Nachlassverwalter mit dem Geld ist. Wir würden niemals die Miete für eine andere Wohnung bekommen, wo wir doch hier kostenfrei wohnen können.«
»Lass mich mitgehen, Herbie!«
»Willst du schon wieder mit mir streiten?«, fragte ich. »Willst du jedes Mal mit mir streiten, wenn ich dich bitte, etwas zu deinem eigenen Besten zu tun?«
»N-nein, aber …«
»Na, da bin ich aber froh, das zu hören«, schnitt ich ihr das Wort ab. »Versteh doch, du wirst dich daran gewöhnen müssen, allein zu sein, Mama Carol. Du wirst von nun an oft allein sein.«
Damit ging ich hinaus. Hinter mir hörte ich ein leises protestierendes Stöhnen, dann ein lautes Klicken, als sie abschloss.
Am Fahrstuhl sah ich auf die Uhr und drückte dann hektisch auf den Signalknopf. Ich würde zu spät zu meiner Verabredung mit Itzop Kozalski kommen. Ihm war das einerlei, er war da ganz uneigennützig, aber vielleicht war er wegen der neununddreißig von ihm Abhängigen verärgert – den zweifellos räudigsten, flohverseuchtesten Kötern der Welt –, die es nicht mochten, wenn sie auf ihr tägliches Mahl aus Lendensteaks und Schokoladenkuchen warten mussten.
3.
Itzop saß auf einer Bank im Park, an der wir uns verabredet hatten. Er war ungefähr in meinem Alter und wirkte nun recht vorzeigbar, denn er hatte seine Verkleidung abgelegt, allerdings war sein Hemd aufgeknöpft und entblößte seinen Bauchnabel, den er gerade intensiv untersuchte. Mein erster Gedanke war natürlich, dass er wohl wieder mal eine andere Philosophie angenommen hatte, Yoga. Dann bemerkte ich zwei kleine Punkte, Flöhe, die seinen Nabel langsam umkreisten.
Sie verließen ihn gleichzeitig mit einem Sprung, zu schnell für das menschliche Auge. Offenkundig erleichtert, wandte er sich mit einem freundlichen Lächeln zu mir um und grüßte mich.
»Nichts umbringen, hm?«, sagte ich. »Kein lebendes Wesen.«
»Was?«, fragte er verwirrt. Dann lachte er und antwortete, ach nein, das sei nicht der Grund gewesen, der ihn abgehalten habe, die Flöhe zu zerquetschen. »Ich konnte nicht. Sie gehören mir nicht.«
»Ach, bist du jetzt bei den Anarchisten angekommen?«
»Hm-hm. Rein philosophisch, natürlich.«
»Aber das geht doch nicht«, sagte ich verärgert, obwohl ich ihn gut leiden konnte. »Anarchie ist der letzte Schritt im dialektischen Prozess von These, Antithese, Synthese. Eine Regierung, die keine ist. Der Schritt davor ist allerdings der Kommunismus.«
»Das sehe ich nicht so«, widersprach er steif. »Ich lehne den Kommunismus vehement ab.«
»Aber verdammt noch mal, das kann man nicht anders sehen! Das kannst du nicht leugnen, ohne die elementarste Logik zu verletzen. Jeder mit dem Verstand eines kreidezeitlichen Trottels weiß, dass sich die Anarchie aus dem Kommunismus entwickelt!«
Itzop klammerte sich starrköpfig an seine Ansicht, die, wie er sagte, von den finanziell potentesten und sicherlich antikommunistischsten Elementen der Gesellschaft vertreten werde. Das seien alles Anarchisten, auch wenn sie sich vielleicht anders nennen würden. Sie alle kämpften mit Händen und Füßen gegen die leiseste Spur von staatlichem Zwang – ein womöglich schwacher Punkt in ihrer anarchischen Philosophie sei allerdings die Vorstellung, dass die Regierung eine harte Haltung gegenüber all diesen
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