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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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als eisig-heißes Prickeln und Kribbeln. Psychologische Kriegführung, ging es ihm fast zufällig durch den Kopf. Und dann bekam er einen Wutanfall, die schlimmste Sorte Wutanfall, die Sorte, die er unbedingt unterdrücken musste, weil niemand da war, an dem er sie auslassen konnte – und eine Zerstörungsorgie würde er sich nicht erlauben. Er hatte schon einen Großteil des Morgens damit zugebracht, mit Büchern um sich zu werfen, und danach hatte er sich auch nicht besser gefühlt. Jetzt war er entschlossen, die Fassung zu wahren.
    Er klickte zurück zum Browser, um sich noch einmal die Suchergebnisse anzuschauen. Vielleicht gab es ja noch mehr zu erfahren. Gleichgültig überflog er ein weiteres Mal den Nachruf im Pensacola News Journal, als plötzlich sein Blick an dem Foto hängen blieb. Es war ein anderes Foto. Craddock war jetzt alt und grinste, das Gesicht war voller Falten und hager, fast ausgemergelt, und die Augen waren mit wütenden schwarzen Strichen vollgekritzelt. Der Nachruf fing damit an, dass Craddock McDermott im Haus seiner Tochter an einer Hirnembolie gestorben sei und damit ein forschendes und abenteuerliches, dem Lernen und Lehren gewidmetes Leben sein Ende gefunden habe und jetzt kommt er lalala und es ist kalt er ist kalt Jude ist bald auch kalt wenn er sich aufschlitzt er wird sich aufschlitzen und das Mädchen aufschlitzen und beide kommen dann ins Todesloch und Jude kann dann für sie singen kann für sie alle singen …
    Jude stand so ruckartig auf, dass Dannys Bürostuhl nach hinten schoss und umkippte. Dann stürzten sich Judes Hände auf den Computer, hoben ihn in die Höhe und warfen ihn auf den Boden. Als er aufschlug, waren ein kurzer, hoher Piepton und das Knirschen splitternden Glases zu hören, bevor mit einem Knall die Stromspannung zusammenfiel. Das Surren des Ventilators, der die Hauptplatine kühlte, wurde immer leiser und verstummte schließlich. Dann war es still. Er hatte rein instinktiv gehandelt, viel zu schnell, um dabei noch denken zu können. Scheiß drauf. Selbstkontrolle wurde überbewertet.
    Sein Puls war in die Höhe geschossen. Er fühlte sich wackelig und schwach auf den Beinen. Wo zum Teufel war Danny? Er schaute auf die Uhr an der Wand. Es war fast zwei, zu spät fürs Mittagessen. Vielleicht machte er eine Besorgung. Allerdings gab ihm Danny, wenn er außer Haus etwas erledigte, normalerweise vorher über die Gegensprechanlage Bescheid.
    Jude ging um den Schreibtisch herum zu dem Fenster, durch das er hinaus in die Einfahrt schauen konnte. Dannys kleiner grüner Honda Hybrid stand in der Wendebucht. Danny saß völlig regungslos auf dem Fahrersitz. Die eine Hand lag auf dem Lenkrad, das Gesicht war aschgrau, starr und ausdruckslos.
    Sein Anblick, wie er einfach so dasaß und ins Nichts starrte, hatte eine beruhigende Wirkung auf Jude. Er beobachtete Danny, der nichts tat, der sich nicht einmal umschaute. Danny sah aus wie ein Mann in Trance – ein Gedanke, bei dem Jude ein nervöses Ziehen in den Gelenken spürte. Eine volle Minute verstrich, dann noch eine, und je länger Jude schaute, desto beklommener fühlte er sich, desto mehr schmerzten seine Knochen. Dann griff er nach dem Türknauf und ging nach draußen, um herausfinden, was mit Danny nicht stimmte.
    13
    Die Luft traf ihn wie ein kalter Schock und trieb ihm das Wasser in die Augen. Als er die Fahrertür des Wagens erreichte, glühten Judes Wangen, und seine Nasenspitze war taub. Obwohl es schon früher Nachmittag war, lief Jude immer noch in Muscleshirt, gestreiften Boxershorts und seinem zerschlissenen Bademantel herum. Der Wind wurde stärker, und die eiskalte, beißende Luft schnitt ihm in die nackte Haut.
    Danny wandte sich nicht zu ihm um, sondern starrte weiter mit ausdruckslosem Gesicht durch die Windschutzscheibe. Aus der Nähe sah er noch schlechter aus. Er zitterte leicht und gleichmäßig. Am Backenknochen lief ein Schweißtropfen herab.
    Jude klopfte gegen die Scheibe. Danny schrak hoch, als würde er aus einem Nickerchen erwachen, und blinzelte nervös. Er tastete nach dem Knopf für die Fensterheber, schaute Jude aber immer noch nicht an.
    »Was machst du hier, Danny?«, fragte Jude.
    »Ich glaube, ich fahr lieber nach Hause.«
    »Hast du ihn gesehen?«
    »Ich glaube, ich fahr jetzt lieber nach Hause«, sagte Danny.
    »Hast du den toten Mann gesehen? Was hat er gemacht?« Jude war geduldig. Wenn er musste, dann konnte Jude der geduldigste Mensch auf Erden sein.
    »Ich glaube, ich

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