Austin. Nach seinem Abschluss meldete er sich zur Armee, wo er in der Einheit für psychologische Kriegführung diente. Während dieser Zeit lernte er die Möglichkeiten der Hypnose kennen und entdeckte seine Berufung. In Vietnam wurde er mit dem Purple Heart und dem Bronze Star ausgezeichnet. Nach seiner ehrenvollen Entlassung ließ er sich in Florida nieder. 1980 heiratete er die Bibliothekarin Paula Joy Williams, wurde der Stiefvater ihrer beiden Töchter Jessica und Anna, die er später adoptierte. Paula und Craddock verband eine Liebe, die gegründet war auf stillem Glauben, tiefem Vertrauen und der beiderseitigen Faszination für die unerforschten Möglichkeiten des menschlichen Geistes.
Jude runzelte die Stirn. Ein seltsamer Satz – »der beiderseitigen Faszination für die unerforschten Möglichkeiten des menschlichen Geistes«. Er wusste nicht einmal, was das bedeuten sollte.
Ihre Beziehung dauerte bis zu Paulas Tod im Jahr 1986. Craddock hatte in seinem Leben fast zehntausend »Patienten« gehabt – Jude schnaubte verächtlich, als er das Wort las. Mithilfe fundierter Hypnosetechniken linderte er die Leiden der Kranken und half Bedrängten, die ihre Schwächen überwinden wollten – eine Arbeit, die seine älteste Stieftochter, Jessica McDermott Price, als private Beraterin bis zum heutigen Tag fortführe. Jude schnaubte wieder. Wahrscheinlich hatte sie den Nachruf selbst geschrieben. Er wunderte sich, dass sie nicht auch gleich noch die Telefonnummer ihres Dienstleistungsbetriebshinzugefügt hatte. Wenn Sie durch diesen Nachruf auf meinen Vater von uns erfahren haben, gewähren wir Ihnen bei Ihrer ersten Sitzung einen Nachlass von 10 Prozent!!!
Das Interesse an Spiritualismus und am ungenutzten Potenzial des Geistes veranlassten Craddock, mit der »Suche nach Wasser mittels Wünschelrute« zu experimentieren, der alten Technik der Landbevölkerung, mit Rute oder Pendel unterirdische Wasserreserven aufzuspüren. Wofür er jedoch bei seiner Adoptivtochter und seinen geliebten Hinterbliebenen am nachdrücklichsten in Erinnerung bleiben werde, sei, dass mit seiner Hilfe so viele seiner Mitmenschen ihre verborgenen Reserven an Kraft und Selbstwertgefühl hätten freilegen können. »Seine Stimme mag verstummt sein, doch sie wird uns immer im Gedächtnis bleiben.«
Kein Wort über Annas Selbstmord.
Jude überflog den Nachruf noch einmal und blieb kurz an bestimmten Wendungen hängen, die ihn sonst kaum interessierten: »psychologische Kriegführung«, »unerforschte Möglichkeiten«, »ungenutztes Potenzial des Geistes«. Er betrachtete wieder Craddocks Gesicht, musterte eingehend die kühle Selbstsicherheit seiner blassen schwarz-weißen Augen und das fast zornige Lächeln, das auf den farblosen schmalen Lippen lag. Der Hurensohn sah ziemlich brutal aus.
Dannys Computer signalisierte ihm mit einem kurzen Pling, dass eine E-Mail eingetroffen war. Wo zum Teufel war Danny eigentlich? Jude schaute auf die Bildschirmuhr und sah, dass er jetzt schon zwanzig Minuten hier saß. Er klickte auf Dannys E-Mail-Programm, das auch seine Nachrichten abrief. Die neue E-Mail war an Jude adressiert.
Jude warf einen kurzen Blick auf den Absender und richtete sich sofort auf. Seine Brust- und Bauchmuskeln spannten sich, als rechnete er mit einem Schlag. Was ingewissem Sinn auch stimmte. Die E-Mail war von
[email protected].
Jude öffnete die E-Mail und fing an zu lesen.
lieber Jude
bei einbruch der dunkelheit werden wir unterwegs sein wir sind zu dem loch unterwegs ich bin tot du wirst sterben jeder der dir uns zu nahe kommt wird von deinem unserem tod befallen wir sind gemeinsam befallen wir werden zusammen in dem todesloch sein und die graberde wird auf uns fallen lalala die toten werden die lebenden nach unten ziehen wenn jemand versucht dir uns zu helfen dann werde ich werden wir sie nach unten ziehen und auf sie draufsteigen und keiner klettert aus dem loch heraus weil das loch zu tief ist und die erde zu schnell fällt und jeder der deine stimme hört wird wissen dass es wahr ist Jude ist tot und ich bin tot und du wirst sterben du wirst meine unsere stimme hören und wir werden zusammen auf der Straße der nacht unterwegs sein bis zu dem ort dem letzten ort wo der wind für dich für uns weint wir werden bis zum rand des lochs gehen wir werden fallen und uns dabei umschlungen halten wir werden fallen singen für uns an unserem an deinem grab singen lalala
Judes Brust war ein luftloser Raum, nichts