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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Werbespots. Lew von Imperial Autos sagte: »Nirgendwo im Dreiländereck gibt es solche Angebote. Keiner unserer Konkurrenten kann da nur ansatzweise mitziehen. Die Toten ziehen die Lebenden nach unten. Kommen Sie vorbei, machen Sie die nächste Tour mit uns, drehen Sie mit uns eine Runde auf der Straße der Nacht. Wir sind zusammen unterwegs. Wir singen zusammen. Sie werden sich wünschen, dass es nie aufhört. Und es wird nie aufhören.«
    Werbung nervte Jude. Er raffte sich auf und wechselte den Sender. Auf WFUM spielten sie gerade einen seiner Songs, seine allererste Single, ein dreistes AC/DC-Plagiat mit dem Titel »Souls for Sale«. In der Düsterkeit hatte es den Anschein, als ob geisterhafte Gestalten, formlose, bedrohlich wirkende Nebelfetzen das Auto umwaberten. Er schloss die Augen wieder und hörte auf den entrückten Klang seiner eigenen Stimme.
    More than silver and more than gold,
    You say my soul is worth,
    Well, I'd like to make it right with God,
    But I need beer money first.
    Er schnaubte leise. Seelen verkaufen war nicht das Problem, Ärger bekam man nur, wenn man sie kaufte. Beim nächsten Mal würde er darauf achten, dass ein Rückgaberecht vorhanden war. Er lachte und öffnete seine Augen einen Spalt. Craddock, der tote Mann, saß neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er lächelte Jude an und entblößte dabei schiefe, fleckige Zähne und eine schwarze Zunge. Er roch nach Tod und nach Autoabgasen. Seine Augen lagen verborgen hinter diesen merkwürdigen, ständig zitternden schwarzen Pinselstrichen.
    »Keine Rückgabe, kein Umtausch«, sagte Jude zu ihm. Der tote Mann nickte mitfühlend, und Jude schloss wieder die Augen. Irgendwo, meilenweit entfernt, hörte er, wie jemand seinen Namen rief.
    … ude! Jude! Sag was, Ju…
    Aber er wollte nicht belästigt werden, er war schläfrig, er wollte seine Ruhe. Er stellte den Sitz zurück, verschränkte die Hände über dem Bauch und atmete tief durch.
    Er war gerade eingenickt, als Georgia ihn am Arm packte und aus dem Wagen in den Staub zerrte. Ihre Stimme drang in Wellen an sein Ohr, wurde leiser, dann wieder lauter.
    … los, komm raus da, Jude, beweg deinen Arsch …
    … nicht sterben, bitte, du darfst nicht…
    …iiiiitte, bitte …
    …äugen auf, mach deine Scheißaugen …
    Er öffnete die Augen, setzte sich mit einer einzigen abrupten Bewegung auf und schlug wild um sich. Das Scheunentor stand weit offen, und die Sonne schien in leuchtend kristallenen und scharfkantigen Strahlenbalken ins Innere. Das Licht stach ihm so in die Augen, dass er ruckartig den Kopf abwandte. Er atmete die kalte Luft tief ein und öffnete den Mund, um Georgia zu sagen, dass alles in Ordnung sei, brachte aber keinenTon heraus, weil sein Mund voller Galle war. Er rollte sich auf die Seite, rappelte sich auf alle viere hoch und übergab sich auf den staubigen Boden. Georgia hielt ihn am Arm fest und beugte sich über ihn, während es ihm immer wieder hochkam.
    Jude war schwindelig. Der Boden unter ihm schwankte. Als er ins Freie schauen wollte, drehte sich alles im Kreis, als ob er das Bild auf einer Vase betrachtete, die sich auf einer Töpferscheibe drehte. Das Haus, der Hof, die Einfahrt, der Himmel jagten an ihm vorbei, und wie bei einem plötzlichen Anfall von Seekrankheit musste er sich wieder übergeben.
    Er lag auf dem Boden und wartete darauf, dass die Welt aufhörte, sich zu drehen. Nicht dass sie das jemals täte. Das war eines von den Dingen, die man herausfand, wenn man stoned, völlig blau oder im Fieberwahn war: Die Welt drehte sich immer, und nur ein gesunder Geist konnte das grässliche Wirbeln ausblenden. Er spuckte aus und fuhr sich mit der Hand über den Mund. Sein Magen tat ihm so weh und war so verkrampft, als hätte er eine Stunde Bauchmuskeltraining hinter sich, was, wenn man es recht bedachte, der Wahrheit ja sehr nahe kam. Er drehte sich auf die Seite, setzte sich auf und betrachtete den Mustang. Der Motor lief noch. Niemand saß im Wagen.
    Die Hunde hüpften um ihn herum. Angus sprang ihm auf den Schoß, steckte ihm seine kalte, feuchte Nase ins Gesicht und leckte ihm den säuerlich riechenden Mund ab. Jude war zu schwach, um ihn wegzustoßen. Bon, schon immer die schüchternere der beiden, warf ihm von der Seite einen ängstlichen Blick zu, senkte dann den Kopf zu dem erbrochenen dünnflüssigen Schleim und begann verstohlen, ihn aufzuschlecken.
    Jude hielt sich an Georgias Handgelenk fest und bemühte sich aufzustehen, hatte aber noch nicht

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