Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Schickeria in seinem Lokal haben.
Schwarz hatte das
Eliseo
zuletzt an jenem verhängnisvollen 18. Geburtstag seiner Tochter Luisa besucht. Seither waren seine Geschmacksnerven erheblich verkümmert, daran bestand kein Zweifel. Sowohl seine Mutter als auch Monika hatten es nämlich versäumt, ihm die Grundkenntnisse des Kochens beizubringen.
Das brauchst du nicht, du hast ja mich
, hatten beide immer erklärt.
Sie hatten ihn bewusst in Abhängigkeit gehalten, und so lebte er nun seit drei Jahren, wenn er nicht essen ging, von den wenigen Gerichten, die er sich im Selbststudium beigebracht hatte. Penne mit grünem Pesto aus dem Glas, Farfalle mit rotem Pesto aus dem Glas, Penne mit Tunfisch aus der Dose und Kapern aus dem Glas, Farfalle mit Arrabiata-Sauce aus dem Glas. Gnocchi mit Butter und Parmesan aus der Tüte. Ein Elend.
»Toni? Bist du es? Oder ist es dein älterer Bruder? Und du kennst den Avvocato. Buona sera, Signor Levi.«
Enzo, für den der Name
Loewi
offenbar unaussprechbar war, sorgte mit seiner Begeisterung dafür, dass das ganze Lokal auf sie aufmerksam wurde. Vielleicht war es doch keineso gute Idee gewesen, hierher zu gehen, dachte Schwarz, während der Wirt ihn überschwänglich umarmte.
»Was habe ich falsch gemacht, Toni? Warum seid ihr nicht mehr gekommen?«
»Wir sind getrennt.«
Enzo löste sich von ihm, packte ihn bei den Schultern und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »No, non è vero. Ihr wart so ein schönes Paar.«
»Ist auch nur vorübergehend.«
»Ma certo, du hast eine kleine Midlifecrisis, eine süße junge Freundin. Aber in ein paar Monaten langweilst du dich und kehrst reumütig zu deiner Monika zurück, vero?«
»Genau«, sagte Schwarz, um das Gespräch abzukürzen. Schließlich war er nicht zur Ehetherapie hier.
»Können wir einen Tisch in der Ecke haben, Enzo?«, fragte Loewi.
»Ma come no, Signor Levi. Ihr kriegt den Mafia-Tisch. Da sitzt ihr beide mit dem Gesicht zum Lokal und habt alles unter Kontrolle.«
Enzo war ein sensibler Wirt und erkannte sofort die Bedürfnisse seiner Kundschaft. Wenn ein Paar sich nichts mehr zu sagen hatte, sorgte er persönlich für das Entertainment, wenn hingegen Gäste wie Loewi und Schwarz ungestört sein wollten, ließ er sie nach der theatralischen Begrüßung weitgehend in Frieden.
Die politische Vergangenheit des Wirts wirkte bis in die Gegenwart. Die Speisekarte war eine Attrappe, da der Gast in der Praxis eigentlich nicht frei wählen durfte. Enzo empfahl als Vorspeise den warmen Salat von Chicorée mit Trüffeln und Ziegenkäse und hinterher den Rinderschmorbraten in Barolo. Schwarz wusste, dass diese Empfehlungen Befehle waren, und widersetzte sich nur dem Getränkevorschlag. Als er Bier bestellte, verzog der Wirt angewidert das Gesicht.
»Weißt du nicht mehr, dass ich vom Wein Kopfschmerzen bekomme, Enzo?«
»Aber nicht von meinem.«
Schwarz blieb trotzdem beim Bier.
Loewi, der einen dunkelgrauen Anzug und eine dezente Krawatte trug, stellte seinen ledernen Aktenkoffer neben sich auf die Bank. Er hatte es nicht mehr geschafft, sich nach der Arbeit zu Hause umzuziehen. Er holte tief Luft und atmete lange und geräuschvoll aus. »Was für ein Scheißtag. Entschuldigen Sie, bitte.«
Schwarz nickte verständnisvoll.
»Es ist tatsächlich so, dass Burger das Gefängnis bereits in den nächsten Tagen verlassen wird.«
»Kennen Sie den genauen Termin?«
Loewi schüttelte den Kopf. »Darüber wird kurzfristig entschieden, um dem armen Kerl die Konfrontation mit der Presse zu ersparen.«
Loewi klang bitter, sehr bitter.
»Normalerweise wird so eine Strafe doch erst nach zwei Dritteln der Haftzeit zur Bewährung ausgesetzt?«, sagte Schwarz. »Das wäre Ende Oktober.«
»In besonderen Fällen ist es auch früher möglich.«
»Und was ist an Burger so besonders?«
Sie wurden von Enzo unterbrochen, der es sich nicht nehmen ließ, den Salat persönlich zu servieren. »Buon appetito, Signori!«
Der Anblick der Vorspeise versprach höchste Gaumenfreuden, doch der Anwalt und der Ermittler stocherten lustlos in ihren Tellern.
»Sie wissen, dass die Strafvollstreckungskammer nichtöffentlich verhandelt, Herr Schwarz.«
»Deswegen frage ich mich schon die ganze Zeit, woher Sie Ihre Informationen haben.«
Loewi lächelte. »Ich habe den einen oder anderen guten Bekannten am Landgericht.«
»Ich tippe auf die Protokollantin.«
Der Anwalt widersprach nicht. »Ich weiß also nur vom Hörensagen, wie es zu dieser
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