Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Entscheidung gekommen ist. Anfangs muss der Vorsitzende angesichts der Schwere der Schuld und dem großen öffentlichen Interesse nach der Amokfahrt erhebliche Bedenken geäußert haben.«
Schwarz fragte nach dem Namen.
»Dr. Breher, ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen?«
Und ob er ihn kannte. In seiner ganzen Laufbahn als Polizist war ihm kein größerer Zyniker begegnet. »Dem geht’s doch nur darum, das Gerichtsgebäude möglichst schnell zu verlassen, um zu seinem Jagdrevier an der Kampenwand zu kommen.«
Loewi wiegte den Kopf. »In diesem Fall hat er es sich angeblich nicht leicht gemacht. Obwohl der Bericht dem Gefangenen
Beste Führung
bescheinigte und eine Gefahr für die Allgemeinheit weitgehend ausschloss, bestand er darauf, noch den Gefängnispsychologen zu hören, der Burger während der letzten Jahre betreut hat. Dieser Mann hat mit seiner überaus positiven Sozialprognose schließlich für den Umschwung gesorgt.«
»Was wissen Sie über ihn?«
»Er heißt Jörg von Medingen.«
»Nie gehört.«
»Ich auch nicht, aber ich habe Informationen über ihn eingeholt. Er hat am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz gearbeitet und sich vor sieben Jahren auf die Betreuung jugendlicher Strafgefangener spezialisiert.«
»Wie ist er zu seiner Einschätzung gekommen?«
Loewi wartete, bis Enzo, sichtlich beleidigt, die fast unberührte Vorspeise abserviert hatte.
»Tim Burger hat sich der Therapie angeblich bereitwillig geöffnet, seine Tat ehrlich bereut, sich konsequent um seine Ausbildung bemüht und über die Jahre zu einem reifen, psychisch stabilen Menschen entwickelt.«
Schwarz stützte nachdenklich das Kinn auf die verschränkten Hände. »Ist es möglich, dass wir uns geirrt haben?«
»Unsinn!«
Loewis barscher Ton überraschte ihn. »Entschuldigung, ich habe nur laut nachgedacht.«
»Da hat die Staatskanzlei ihre Finger im Spiel. Von Medingen ist ein CS U-Mann .« Der sonst so überlegte Anwalt wirkte plötzlich verbissen.
»Langsam, langsam«, sagte Schwarz. »Welches Interesse sollte die Regierung haben, einen möglicherweise sehr gefährlichen Mann wie Burger vorzeitig aus dem Knast zu holen? Sie selbst haben doch gesagt, dass man den Anteil rechtsextremistischer Straftaten in der Kriminalstatistik möglichst gering zu halten versucht.«
Loewi machte eine resignierte Geste. »Sie haben recht. Ich werde langsam paranoid.«
»In der Gefahr sind wir anscheinend alle«, sagte Schwarz.
»Wenn euch mein Brasato auch nicht schmeckt, erschieße ich mich«, erklärte Enzo.
»Dann guten Appetit«, sagte Schwarz.
Sie aßen schweigend. Die blumig fruchtige Note des Barolo, die kräftigen Gewürze und das mürbe Rindfleisch harmonierten aufs Feinste. Doch Schwarz konnte es nicht genießen. Er betrachtete heimlich seinen sichtlich angeschlagenen Auftraggeber und überlegte, wie er ihm die zweite schlechte Nachricht des Tages schonend beibringen sollte.
Aber es gab keine schonende Version. Eine Handgranate war nun mal kein Spielzeug.
Als Schwarz betont sachlich von seiner Entdeckung berichtete, wurde Loewi noch blasser.
»Das ist eine Katastrophe.«
»Moment, wir wissen nicht, ob sie das Ding schon haben.«
»Aber klar. Wofür soll Marco denn sonst einen Zünder besorgen?«
»Auch das ist nicht so einfach.«
»Ach was. Die Typen, die den Anschlag bei der Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum geplant hatten, besaßen in ihrem Waffenarsenal neben vielem anderen auch eine Handgranate.«
Schwarz seufzte.
»Es ist doch offensichtlich, dass die Gruppe einen Anschlag plant, Herr Schwarz. Wahrscheinlich späht sie schon Ziele aus – die jüdischen Gemeinden, Gedenkorte, Friedhöfe, Lokale, vielleicht sogar die Privathäuser bekannter Münchner Juden. Die warten nur noch, bis Tim Burger aus dem Gefängnis kommt. Wir müssen die Polizei einschalten.«
»Die Kollegen vom politischen Dezernat? Die würden uns auslachen. Was haben wir denn schon? Fünf in einen Holzfußboden geritzte Buchstaben, sonst nichts.«
Loewi starrte ihn wütend an. »Dann bringen Sie mir endlich überzeugende Beweise, verdammt! Dafür bezahle ich Sie.«
»Schreien nützt gar nichts«, sagte Schwarz.
37.
Zehn Minuten später saß Schwarz in einer schönen Altbauwohnung in Neuhausen. Loewi war sein Ausbruch sofort peinlich gewesen, und er hatte darauf bestanden, ihn auf einen Versöhnungsdrink einzuladen.
Schwarz ließ seinen Blick über den großzügigen, in einem leicht verwischten Orangeton gehaltenen
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