Blinde Goettin
ihr gab, das sie aus dem sicheren Dasein herauslockte, von dem sie so abhängig war. Sie wollte kein Verhältnis nebenbei. Und sie wollte sich unter keinen Umständen scheiden lassen. Die einzige vernünftige Entscheidung war also, sich Håkon vom Leibe zu halten. Aber gleichzeitig sehnte sie sich grausam nach ihm, sie hatte auf dem Weg zu einer Entscheidung, von deren Ausgang sie noch keine Ahnung hatte, vier Kilo eingebüßt.
»Hier ist Karen«, verkündete sie, als sie ihn beim dritten Versuch endlich erwischt hatte.
Er schluckte so heftig, daß er husten mußte. Sie hörte, daß er den Hörer beiseite legen mußte. Was sie nicht mitbekam, war, daß Husten und Aufregung zur Folge hatten, daß er sich erbrechen mußte. Er konnte gerade noch den Papierkorb schnappen. Sein Gaumen brannte, als er endlich antworten konnte.
»Tut mir leid«, hüstelte er. »Ich hab’ etwas in den falschen Hals gekriegt. Wie geht’s dir?«
»Darüber will ich jetzt nicht sprechen, Håkon. Wir werden darüber reden. Später. Ich muß nachdenken. Ich muß nachfühlen. Du bist ein lieber Junge. Du läßt mir noch ein bißchen Zeit.«
»Und warum rufst du an?« Eine Mischung aus Verzweiflung und schwacher Hoffnung machte seine Stimme unnötig mürrisch. Das hörte er selbst, aber er hoffte, die Telefonleitung werde das Schlimmste vertuschen.
»Peter Strup hat mich zum Essen eingeladen.«
Schweigen. Håkon Sand war aufrichtig überrascht und hemmungslos eifersüchtig.
»Ach.« Was sollte er sonst noch sagen? »Ach«, wiederholte er. »Hast du zugesagt? Und hat er erklärt, warum er dich einlädt?«
»Eigentlich nicht«, antwortete sie. »Aber ich glaube, es hängt mit unserem Fall zusammen. Ich würde gern hingehen. Soll ich?«
»Nein, natürlich nicht! Er ist Verdächtiger in einem wichtigen Fall! Hast du denn völlig den Verstand verloren? Die Götter mögen wissen, was dem alles zuzutrauen ist. Nein, du darfst nicht hingehen! Hörst du?«
Sie seufzte und begriff, welch ein Fehler dieser Anruf war.
»Er ist doch kein Verdächtiger, Håkon. Jetzt übertreibst du aber wirklich. Ihr habt überhaupt nichts gegen den Mann vorliegen! Daß er ein seltsames Interesse an meinem Mandanten an den Tag legt, kann doch unmöglich ausreichen, um ihn für die Polizei spannend zu machen. Ehrlich gesagt bin ich ein bißchen neugierig darauf, woher sein Interesse eigentlich stammt, und bei diesem Essen klärt sich das vielleicht auf. Das müßte doch auch für euch von Vorteil sein, oder? Ich verspreche dir, ich erzähle dir, was dabei herauskommt.«
»Wir haben einiges über den Mann«, widersprach Håkon voller Pathos. »Wir haben mehr als nur Mandantenklau. Aber ich kann nichts darüber sagen. Du mußt mir einfach glauben.«
»Ich glaube, du bist eifersüchtig, Håkon.«
Er hörte geradezu, daß sie lächelte; das hätte er schwören können, verdammt. »Ich bin nicht die Spur von eifersüchtig«, brüllte er und würgte eine weitere Portion Magensäure hervor. »Mir geht es wirklich und rein professionell um deine Sicherheit!«
»Na gut«, sagte sie. »Wenn ich heute abend verschwinden sollte, dann kannst du Peter Strup verhaften. Ich gehe jedenfalls hin. Mach’s gut.«
»Warte! Wo trefft ihr euch?«
»Geht dich nichts an, Håkon, aber wenn du es unbedingt wissen willst: Markveien Mat- und Vinhus. Ruf mich nicht an. Ich rufe dich an. Bald. In ein paar Tagen oder Wochen.«
Das Telefon klickte, und Karen wurde von einem höhnischen, monotonen Summton abgelöst.
»Verdammt«, murmelte Håkon Sand, dann kotzte er in den Papierkorb, zog die Plastiktüte heraus und verknotete sie, ehe er sich des stinkenden Bündels entledigte.
Das Essen war phantastisch. Karen Borg freute sich sehr über eine gute Mahlzeit. Ihre eigenen Versuche am Kochtopf gingen immer daneben, ein Regalmeter Kochbücher hatte ihr auch nicht weitergeholfen. Im Laufe der Jahre hatte Nils nach und nach die Küche übernommen. Er konnte aus Suppenwürfeln Feinschmeckermahlzeiten herstellen, sie konnte ein Filetsteak ruinieren.
Peter Strup sah besser aus als auf den Zeitungsbildern. Laut Zeitung war er fünfundsechzig Jahre alt. Auf Bildern sah er viel jünger aus, aber das lag wohl daran, daß die vielen kleinen Runzeln nicht zu sehen waren. Jetzt, als sie weniger als einen Meter von ihm entfernt saß, sah sie, daß das Leben ihn nicht so schonend behandelt hatte, wie sie bisher angenommen hatte. Trotzdem machten die Falten in seinem Gesicht ihn glaubwürdiger,
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