Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
versucht, war aber von einer freundlichen Empfangsdame abgewimmelt worden. Karen Borg habe zu tun, sicher, sein Anruf werde notiert. Die Frau hatte seither vier weitere Anrufe notiert, aber keiner war beantwortet worden. Er hatte sich in gewohnter Resignation damit abgefunden, war aber doch jedesmal enttäuscht, wenn das Telefon schellte und er in der intensiven und alles verzehrenden Hoffnung abnahm, sie könnte es sein, nur um dann feststellen zu müssen, daß sie standhaft war in ihrem Entschluß, mindestens einen Monat lang nicht mit ihm zu sprechen. Machte also noch zwei Wochen. »Nein«, wiederholte er. »Ihr ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
    Die Kerzen hatten den Tisch in zwei großen Kreisen beträufelt. Håkon legte beschützend und unnötig die Hand hinter die Flammen und blies sie aus. Er erhob sich und schaltete das Deckenlicht ein.
    »Das war der Auftakt«, sagte er mit aufgesetzter Munterkeit. »Das Fest feiern wir dann getrennt!«

SAMSTAG, 7. NOVEMBER
    Obwohl der Winter kräftig mit dem Säbel gerasselt hatte, war er von einem normalen, windigen Herbst aus dem Feld geschlagen worden. Die Spuren des einleitenden Geplänkels waren noch einige Tage lang als grauweiße Schneeflecken liegengeblieben, inzwischen waren aber auch sie verschwunden. Der Regen war drei oder vier Grad vom Schnee entfernt, war aber viel unangenehmer. Der Asphalt, der noch vor wenigen Tagen in der nächtlichen Dunkelheit geglitzert hatte, besetzt von Millionen von schwarzen Diamanten, lag nun da wie ein flaches, sabberndes Ungeheuer und verschluckte jedes Licht in dem Moment, in dem es auf den Boden auftraf.
    Hanne und Cecilie kamen von einem recht netten Fest. Cecilie hatte zuviel getrunken und nahm flirtend Hannes Hand. So gingen sie zwischen zwei Laternen einige Meter, aber Hanne ließ los, als sie in das schwache Licht traten.
    »Feigling!« neckte Cecilie.
    Hanne lächelte nur und schob die Hände in ihre Jackenärmel, wo sie vor einem weiteren Anlauf zu Intimität geschützt waren.
    »Wir sind bald zu Hause«, sagte sie.
    Ihre Haare waren schon naß, und Cecilie beklagte sich, weil ihre Brille beschlagen war.
    »Dann schaff dir doch Kontaktlinsen an.«
    »Das ist im Moment schwierig! Und gerade jetzt kann ich doch nichts sehen! Darf ich wenigstens deinen Arm nehmen? Sonst falle ich hin und breche mir das Genick, und dann bist du ganz allein auf der weiten Welt.«
    Arm in Arm gingen sie weiter. Hanne wollte nicht ganz allein auf der weiten Welt sein.
    Vor ihnen lag der Park, ziemlich leer. Beide hatten im Dunkeln Angst, aber der Weg durch den Park war fünf Minuten kürzer. Sie wagten es.
    »Du bist eigentlich total witzig, Hanne. Du bist riesig witzig«, brabbelte Cecilie, als ob Menschenstimmen alle Mächte der Finsternis verjagen könnten, die möglicherweise an diesem späten Herbstabend unterwegs waren. »Ich lach’ mich kringelig über deine Witze. Erzähl von dem Theater in Gryllefjord. Das ist jedesmal von neuem witzig. Und so schön lang. Erzähl!«
    Und Hanne erzählte bereitwillig. Als sie beim zweiten Gastspiel im Bürgerhaus von Gryllefjord angekommen war, blieb sie unvermittelt stehen. Sie hielt Cecilie mit einer abwehrenden und aggressiven Handbewegung zurück und zog ihre Freundin hinter einen riesigen Ahornbaum. Cecilie verstand das falsch und bot ihren Mund zum Kuß dar.
    »Laß das, Cecilie, nimm dich zusammen und beweg dich nicht!« Sie befreite sich aus der Umarmung, lehnte sich an den Baum und lugte hervor.
    Die beiden Männer waren unvorsichtig genug gewesen, sich unter eine der beiden Laternen in dem großen, dunklen Park zu stellen. Die Frauen waren dreißig Meter von ihnen entfernt und konnten kein Wort verstehen. Hanne Wilhelmsen sah nur den Rücken des einen Mannes, er hatte die Hände in den Taschen und trat von einem Fuß auf den anderen. Das konnte bedeuten, daß er schon eine Weile dort stand. Sie blieben ziemlich lange stehen, die Männer im leisen Gespräch, die Frauen hinter dem Baum. Cecilie hatte endlich den Ernst der Lage begriffen und sich damit abgefunden, daß Hanne ihr Benehmen später erklären würde.
    Der Mann, der ihnen den Rücken zukehrte, war ganz normal angezogen. Seine Jeans steckten in schiefgetretenen Snowjoggern, seine Jeansjacke war mit Kunstpelz gefüttert, das Futter lugte grauweiß aus dem Kragen. Seine Haare waren kurz, es war fast schon ein Bürstenschnitt.
    Der Mann, dessen Gesicht Hanne Wilhelmsen gut sehen konnte, trug einen hellbeigen Mantel und war

Weitere Kostenlose Bücher