Blinde Goettin
ihren Ruf als Regelfetischistin verdient hatte. Die Verhörmethoden, die sie da skizzierte, standen nun wirklich nicht in den Vorschriften. Und er war sich nicht sicher, ob es gestattet war, damit zu drohen.
»Du hast ein Recht auf einen Anwalt, den der Staat bezahlt«, warf er ein, um eventuelle Ungesetzlichkeiten auszugleichen.
»Kein Anwalt!« Das schrie der junge Mann geradezu. Er zog noch einmal an seiner Zigarette, dann drückte er sie energisch aus und wiederholte: »Ich will keinen Anwalt. Ich komme ohne besser zurecht.«
Ein fragender, fast bettelnder Blick richtete sich auf die Zigaretten auf dem Tisch. Hanne Wilhelmsen nickte und reichte ihm Zigarette und Streichhölzer.
»Ihr glaubt also, daß ich das war. Ja, das kann schon stimmen.« Das war’s! Die Grundbedürfnisse des Mannes schienen befriedigt; die Dusche, ein Frühstück, etwas zu trinken und zwei Zigaretten. Er wirkte, als habe er alles gesagt, lehnte sich zurück und rutschte an die Stuhlkante. Dort blieb er mit seinem abwesenden Blick hängen.
»Ja, ja.«
Wilhelmsen schien die Lage unter Kontrolle zu haben.
»Vielleicht rede ich weiter«, sagte Hanne Wilhelmsen und blätterte in der ziemlich dünnen Mappe neben der Schreibmaschine. »Wir haben also diese übel zugerichtete Leiche gefunden. Der Tote hatte keine Papiere, sein Gesicht war schon mal vorausgelaufen, wohin immer er eigentlich wollte. Aber die Jungs vom Unruhekommando kennen sich ziemlich gut in der Drogenszene dieser Stadt aus. Haare und Kleidung reichten aus. Mord aus Rache, meinen die Jungs. Ich halte diese Annahme durchaus für plausibel.« Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und massierte sich mit den Daumen den Nacken, während sie den Niederländer voll ansah. »Ich glaube, du hast ihn umgebracht. Morgen, wenn der Bericht der Gerichtsmedizin kommt, werden wir mehr wissen. Aber die Techniker können mir nicht verraten, warum. Dafür brauche ich deine Hilfe.«
Der Appell schien vergebens zu sein. Der Junge verzog keine Miene, er behielt sein abwesendes, leicht verächtliches Lächeln bei und schien sich noch immer als Herr der Lage zu fühlen. Das war er allerdings nicht.
»Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, es wäre klug von dir, mir zu helfen«, fuhr Wilhelmsen unverdrossen fort. »Vielleicht hast du das aus eigenem Antrieb gemacht. Vielleicht aber auch auf Bestellung. Vielleicht hast du sogar unter Druck gehandelt. Das alles kann von entscheidender Bedeutung für deine Zukunft sein.« Sie unterbrach ihren gleichmäßigen Wortstrom, steckte sich eine neue Zigarette an und blickte dem Mann in die Augen. Noch immer schien er nichts sagen zu wollen. Hanne Wilhelmsen seufzte demonstrativ und schaltete die Schreibmaschine aus. »Ich kann nicht entscheiden, wie hoch deine Strafe ausfällt. Falls du schuldig bist, meine ich. Aber es wäre für dich von Vorteil, wenn ich vor Gericht etwas Nettes über deine Kooperationsbereitschaft sagen könnte.«
Håkon Sand hatte dasselbe Gefühl wie als kleines Kind, wenn er ein seltenes Mal den Fernsehkrimi hatte sehen dürfen. Er mußte aufs Klo, wagte aber nicht, das zu sagen, aus Angst, er könnte etwas Spannendes verpassen.
»Wo habt ihr ihn gefunden?«
Die Frage des Niederländers traf Håkon Sand völlig unerwartet, und zum erstenmal konnte er auch im Gesicht seiner Kollegin einen Hauch von Unsicherheit erkennen.
»Da, wo du ihn umgebracht hast«, antwortete sie, übertrieben langsam.
»Beantworte meine Frage, wo habt ihr ihn gefunden?«
Beide zögerten.
»Bei der Hundertmannsbrücke über dem Fluß. Das weißt du«, sagte Wilhelmsen und fixierte ihn weiterhin, um nicht die geringste Nuance in seiner Miene zu übersehen.
»Wer hat ihn gefunden? Wer hat die Polizei verständigt?«
Wilhelmsens Zögern schien Håkon Sand eine Lücke zu sein, die gefüllt werden mußte.
»Eine Spaziergängerin. Eine Anwältin, übrigens eine Freundin von mir. Sicher ein entsetzliches Erlebnis.«
Hanne Wilhelmsen war außer sich vor Zorn, was Håkon Sand aber zu spät bemerkte. Ihre abwehrende Handbewegung zu Beginn seiner Rede war ihm nicht aufgefallen. Er lief unter ihrem tadelnden Blick knallrot an.
Van der Kerch stand auf. »Ich will doch eine Anwältin«, sagte er. »Und zwar diese Frau. Wenn ihr sie mir besorgt, dann überlege ich mir zumindest, ob ich reden werde. Wenn ich sie nicht bekomme, dann will ich lieber zehn einsame Jahre im Knast.«
Unaufgefordert ging er zur Tür, stieg über Håkon Sands Beine und wartete
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