Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
1
Konstantinopel war eine prächtige Stadt. Rheinberg stand auf der Brücke der
Saarbrücken
und blickte am Steuermann vorbei auf die sich abzeichnende Silhouette der mächtigen Metropole. Er war zu seiner Zeit nie hier gewesen, obgleich das Osmanische Reich und das Deutsche Reich durchaus freundschaftliche Beziehungen pflegten, zu denen auch regelmäßige Flottenbesuche gehörten. Zu seiner Zeit, erinnerte er sich, war das Osmanische Reich nur noch ein schwacher Abglanz dessen gewesen, was einst die Reste Ostroms niedergerungen hatte. Konstantinopel – oder Byzanz, wie es später hieß – war alles, was vom Römischen Reich überdauert hatte, bis die Stadt, die kaum mehr als ihre eigenen Mauern beherrschte, schließlich dem Ansturm osmanischer Truppen unterlag. Dann hatte die Metropole eine neue Blütezeit genossen, als Istanbul, dem Zentrum eines neuen Weltreichs. Es war in mehrfacher Hinsicht und gerade aufgrund seiner höchst wechselvollen Geschichte ein historisch fast schon überladener Ort.
Jetzt, zum Ende des Jahres 379 hin, war Konstantinopel die Hauptstadt Ostroms und bereits eine sich weit ausbreitende Siedlung. Sie wurde geschützt durch seine berühmten, als unbezwingbar geltenden Befestigungen, war stark durch seinen großen Hafen, Sitz der römischen Flotte, mit einem eigenen Senat und regiert – in Abwesenheit eines oströmischen Kaisers – durch das Konsistorium, eine Art Ministerkabinett unter dem Vorsitz des Prätorianerpräfekten des Ostens, einem alten und erfahrenen Politiker namens Domitius Modestus.
Hier, in der mächtigsten Stadt des Ostens, wollte die
Saarbrücken
Zuflucht finden. Von hier sollte der Gegenangriff Magnus Maximus in die Enge treiben und seinen Aufstand beenden. Von hier wollte der rechtmäßige Heermeister des Imperiums, Jan Rheinberg, die Einheit des Reiches wiederherstellen und Theodosius zum rechtmäßigen Kaiser von ganz Roms machen.
Zurzeit fühlte sich Rheinberg aber nur rechtschaffen müde.
Die Abreise aus Ravenna war bitter gewesen. Die Bewohner des »deutschen Dorfes«, der großen Produktions- und Ausbildungsanlage an der Küste, hatten sich zum Abschied versammelt, soweit sie nicht auf der kleinen Flottille mitkommen würden. Sie alle hatten gewusst, dass die faszinierende Zeit des Aufbruchs erst einmal vorbei war. Die Werkhallen waren in völlige Stille versunken, als die Maschinen und Werkbänke abgebaut worden waren. Überall hatte man Brandbeschleuniger verteilt. Sobald das Dorf geräumt war, würde man alles in Brand setzen. Als die drei Schiffe – der Kleine Kreuzer sowie die beiden Dampfsegler
Valentinian
und
Horaz
– den Hafen verlassen hatten, war nur ein Schiff im Hafen verblieben, der dritte der neu gebauten Dampfsegler, hastig in
Gratianus
umbenannt. Er würde erst auslaufen, wenn die Truppen des Maximus vor Ravenna standen und das Dorf in Brand gesteckt werden würde. Rheinberg erwartete, dass die
Gratianus
sich der Flottille der Flüchtenden schnell anschließen würde. Als sie ausliefen, war bereits bekannt gewesen, dass sich das Heer des Maximus näherte. Jetzt, wo sie Konstantinopel vor sich hatten, würden die Anlagen, die ihre vorübergehende Heimat gewesen waren, bereits wenig mehr als rauchende Ruinen darstellen.
Die drei Schiffe waren hoffnungslos überfüllt. Man hatte wichtiges Personal mitgenommen, einiges an Materialien, Prototypen, aber auch die Angehörigen der Mannschaften, Frauen und Kinder. Das Deck der
Saarbrücken
wirkte an schönen Tagen wie ein großer Kindergeburtstag, doch bei schwerem Seegang verwandelte es sich in ein lebensgefährliches Terrain voller leidender Zivilisten, meist von der Seekrankheit gebeutelt. Glücklicherweise war bisher niemand ernsthaft verletzt worden. Alle hatten die Überfahrt in die östliche Reichshälfte mit bemerkenswerter Disziplin absolviert. Die Tatsache, dass durch die Flucht Familien eben nicht auseinandergerissen worden waren, hatte sehr zur allgemeinen Ruhe und Besonnenheit beigetragen. Rheinberg dachte an Aurelia, die ehemalige Sklavin, die er zusammen mit drei weiteren Frauen in der Kajüte des Kapitäns wusste, während er selbst sein Nachtlager direkt auf der Brücke des Kreuzers aufgeschlagen hatte – wie fast alle Führungsoffiziere, die die geschützten Unterkünfte den Passagieren überlassen hatten.
Auf den beiden Dampfseglern, die in Formation mit der
Saarbrücken
fuhren, sah es nicht viel anders aus. Die Tatsache, dass die
Saarbrücken
nicht einfach vorpreschen
Weitere Kostenlose Bücher