Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
höflich darauf, in seine Zelle zurückgebracht zu werden. Hanne Wilhelmsen folgte ihm, ohne den noch immer knallroten Polizeiadjutanten eines Blickes zu würdigen.
     
    Der Kaffee war ausgetrunken. Er hatte nicht besonders gut geschmeckt, obwohl er frisch aufgebrüht war. Koffeinfrei, erklärte Håkon Sand. In einem scheußlich orange-braunen Aschenbecher lagen sechs Kippen.
    »Sie war stocksauer auf mich. Aus gutem Grund. Es wird einige Zeit vergehen, bis ich beim nächsten Verhör dabeisein darf. Aber der Typ ist unerschütterlich. Du oder keine.« Der Polizeiadjutant wirkte nicht weniger erschöpft als bei Karen Borgs Eintreffen. Er rieb sich die Schläfen und fuhr sich durch die Haare, die jetzt ganz trocken waren. »Ich habe Hanne gebeten, dem Jungen zu sagen, was alles dagegen spricht. Sie sagt, er läßt sich nicht davon abbringen. Ich habe mich blamiert. Wenn ich dich überreden kann, uns zu helfen, stehe ich ein bißchen besser da.«
    »Ich verspreche dir nicht mehr, als daß ich mit ihm reden werde«, sagte sie kurz und erhob sich.
    Beide gingen hinaus, sie zuerst, er nach ihr. Wie in alten Zeiten.
     
    Der junge Niederländer hatte unbedingt mit Karen Borg sprechen wollen und dabei eine gewisse Offenheit vorgespielt. Jetzt schien er das vergessen zu haben. Er war sauer wie ein Essigkrug. Karen Borg saß in Håkon Sands Schreibtischsessel, während Håkon sich diskret zurückgezogen hatte. Das Anwaltszimmer im Polizeigebäude war ein tristes Loch, und in seiner Angst, Karen Borg könne ihre Zusage, mit dem jungen Niederländer zu sprechen, zurückziehen, hatte er ihr sein Büro zur Verfügung gestellt.
    Der Junge sah hübsch, aber langweilig aus. Athletischer Körper und dunkelblonde Haare, die vor drei oder vier Wochen über eine Frisur hinausgewachsen waren, die sicher Geld gekostet hatte. Seine Hände waren sehr fein, fast feminin. Ob er Klavier spielte? Die Hände eines Liebhabers, dachte Karen Borg ohne die geringste Ahnung, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Karen Borg war an Sitzungszimmer gewöhnt, an Besprechungsräume mit Eichenmöbeln und an luftige Büros mit Vorhängen zu fünfhundert Kronen der Meter. Sie konnte mit Männern in Anzügen mit passenden und unpassenden Krawatten umgehen – und mit der einen oder anderen Frau mit Diplomatenkoffer. Sie wußte alles über Aktiengesetze und Gesellschaftsgründungen, und erst vor drei Wochen hatte sie hundertfünfzigtausend Kronen verdient, indem sie für einen ihrer wichtigsten Mandanten einen Vertrag durchgesehen hatte.
    Sie hatte nur fünfhundert Seiten lange Verträge lesen, ihren Inhalt kontrollieren und O. K. auf den Umschlag schreiben müssen. Fünfundsiebzigtausend pro Buchstabe. Die Worte ihres Gegenübers waren offenbar genauso wertvoll.
    »Du wolltest mit mir sprechen«, sagte Karen Borg. »Ich weiß nicht, warum. Können wir anfangen?«
    Er musterte sie, schwieg aber weiterhin. Sein Stuhl wippte, hin und her, hin und her. Davon wurde Karen Borg nervös.
    »Ich bin nicht die Sorte Anwältin, die du brauchst. Ich kenne andere, die für dich besser geeignet sind; ich könnte kurz telefonieren und dir im Nu einen Spitzenverteidiger besorgen.«
    »Nein!«
    Die Stuhlbeine knallten auf den Boden. Er beugte sich vor, und sie blickte zum erstenmal in seine Augen, wo sie ihr Spiegelbild entdeckte.
    »Nein. Ich will dich. Ruf nirgendwo an.«
    Plötzlich fiel ihr ein, daß sie hier allein mit einem Mann saß, der vermutlich ein Mörder war. Die gesichtslose Leiche verfolgte sie seit Freitagabend. Sie riß sich zusammen. Hierzulande ist noch keine Anwältin von ihrem Mandanten umgebracht worden. Jedenfalls nicht im Polizeigebäude. Das dachte sie dreimal und beruhigte sich. Die Zigarette half.
    »Jetzt antworte schon! Warum ich?«
    Noch immer keine Reaktion.
    »Heute nachmittag wirst du dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Ich weigere mich mitzukommen, wenn ich keine Ahnung habe, was du sagen wirst.« Auch Drohungen brachten sie nicht weiter. Trotzdem glaubte sie in seinen Augen einen Hauch von Besorgtheit zu ahnen. Sie machte einen letzten Versuch. »Und ich habe nicht mehr sehr viel Zeit.«
    Rasch schaute sie auf die Rolex. Gereiztheit hatte ihre Angst verdrängt und nahm spürbar zu. Das schien er zu bemerken. Wieder wippte sein Stuhl.
    »Hör auf zu wippen!«
    Zum zweitenmal knallten die Stuhlbeine auf den Boden. Er schien die Oberhand zu haben.
    »Ich frage ja gar nicht nach der Wahrheit.« Ihre Stimme klang jetzt ruhiger. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher