Blinde Goettin
bestimmt war. Ob er ihn Håkon Sand geben sollte? Die Polizei war mit Sicherheit im Streß, zwei Wochen war nicht viel, und wenn die Einsprüche verhandelt wurden, konnte selbst diese Zeitspanne noch verkürzt werden. Vieles sprach dafür, der Polizei zu helfen. Sie verfügten über einen Apparat, mit dem viel effektiver nach einer Stelle gesucht werden konnte, zu der der verdammte Schlüssel paßte. Außerdem würde ihm das weiteres Wohlwollen eintragen. Das war ziemlich sicher. Er konnte einen guten Handel machen. Und eigentlich, wenn er sich das richtig überlegte, war es ja auch nicht in Ordnung, mit einem Gegenstand herumzulaufen, der ein entscheidender Beweis in einem großen Fall sein konnte. Mord und so. Ob das strafbar war? Er wußte es nicht genau. Andererseits: Wie sollte er erklären, daß der Schlüssel bei ihm gelandet war? Der Einbruch in Laviks Kanzlei war zweifellos strafbar. Wenn sein Redakteur davon erfuhr, dann konnte er seinen Hut nehmen. Vorerst fiel ihm auch keine andere Geschichte ein, die plausibel genug wirkte.
Die Schlußfolgerung ergab sich von selbst. Er mußte auf eigene Faust weitersuchen. Wenn er den Schrank oder das Schließfach fand, würde er zur Polizei gehen. Wenn es etwas Interessantes enthielt, wohlgemerkt. Dann würde seine zweifelhafte Vorgehensweise keine Rolle mehr spielen. Ja, es war vernünftiger, den Schlüssel erst mal zu behalten. Er zog seine Hose hoch und betrat das große, graue Redaktionsgebäude.
Der ganze riesige Schreibtisch war mit Zeitungen übersät. Peter Strup war seit halb sieben in seiner Kanzlei. Auch er war von der Meldung über die Untersuchungshaft geweckt worden. Auf dem Weg zur Arbeit hatte er sieben verschiedene Zeitungen gekauft, die alle große Artikel über den Fall brachten. Im Grunde sagten sie nichts, aber jedes Blatt stellte den Fall anders dar. Klassekampen hielt den Haftbefehl für einen Sieg der Gerechtigkeit und hatte einen Leitartikel über die beruhigende Tatsache, daß die Gerichte ab und zu auch eine andere als Klassenjustiz betrieben. Witzig, dachte er mürrisch, wie dieselben Menschen, die grobes Geschütz auf die primitiven Rachegelüste einer Gesellschaft richten, die Menschen ins Gefängnis sperrt, sich plötzlich für eben dieses System begeistern, wenn ihm jemand von der Sonnenseite zum Opfer fällt. Die Boulevardpresse brachte mehr Bilder als Text, abgesehen von den riesigen Schlagzeilen. Aftenposten brachte ein nüchternes Referat, das obendrein ziemlich zahm war. Der Fall verdiente nun mal eine gewisse Berichterstattung, aber sie schienen Angst vor Verleumdungsklagen zu haben. Ein Urteil gegen Lavik wurde weit in die Zukunft verschoben. Alle Vernunft besagte, daß er sich grausam rächen würde, wenn sie ihn nicht verurteilten.
Der altmodische Füllfederhalter kratzte über das Papier, als er sich im Eiltempo seine Notizen machte. Es war immer schwer, anhand von Zeitungsartikeln die juristischen Probleme zu durchschauen. Die Journalisten warfen die Begriffe durcheinander und wuselten wie freilaufende Hühner durch die juristische Landschaft. Nur zwei Zeitungen hatten Durchblick genug, um zu begreifen, daß hier die Rede von einem Haftbefehl war, nicht von einem Urteil, von einem Einspruch und nicht von einer Revision.
Schließlich faltete er alle Zeitungen zusammen und stopfte sie in den Papierkorb, nachdem er das Wichtigste ausgeschnitten hatte. Er heftete die Ausschnitte mit seinen Notizen zusammen, steckte sie in eine Plastikhülle und schob alles in eine abschließbare Schublade. Dann rief er seine Sekretärin an und bat sie, für die nächsten beiden Tage alle Termine abzusagen. Das überraschte die Sekretärin offenbar, sie reagierte mit einem »Aber«, dann unterbrach sie sich.
»Alles klar. Soll ich neue Termine machen?«
»Ja, bitte. Sag, daß sich etwas Unvorhergesehenes ergeben hat. Ich muß ein paar wichtige Anrufe erledigen. Ich möchte nicht gestört werden. Von niemandem.«
Er stand auf und schloß die Tür zum Flur. Danach griff er zu einem praktischen kleinen Mobiltelefon und ging ans Fenster.
Nach dem zweiten Klingeln wurde abgehoben.
»Hallo, Christian, hier ist Peter.«
»Guten Morgen.« Die Stimme war düster, was schlecht zur Nachricht paßte.
»Na, die Sache ist ja für keinen von uns lustig. Ich muß wohl gratulieren, wenn ich die Zeitungsmeldungen einigermaßen richtig verstanden habe. Einer entlassen und beim anderen die Haft um die Hälfte gekürzt, das muß doch als gutes Ergebnis
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