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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mit ihrem Freund gehabt hatte, mit dem sie seit der Oberschule zusammen war. Normalerweise hätte sie diesen Abend mit ihm verbracht. Auslöser war eine Lappalie gewesen, doch ein Wort hatte das andere gegeben, und eine heftige Auseinandersetzung war entbrannt, in deren Verlauf – sie spürte es genau – ihre lange Beziehung unwiderruflich zerbrochen war. In ihrem Inneren hatte sich etwas versteinert und war abgestorben. Er hatte sie seither nicht mehr angerufen, und auch sie verspürte nicht die geringste Lust, sich bei ihm zu melden.
    Das italienische Restaurant, in dem sie arbeitete, war eines der bekannteren in Roppongi. Die Gerichte, die in dem seit Mitte der sechziger Jahre bestehenden Lokal serviert wurden, waren nicht gerade der letzte Schrei, aber da die Küche sehr solide war, bekamen die Gäste sie nicht über. Es herrschte eine entspannte und unaufdringliche Atmosphäre, und die Mehrzahl der Kunden war schon älter, unter ihnen – dem Ambiente entsprechend – auch einige bekannte Schauspieler und Autoren.
    Zwei fest angestellte Kellner arbeiteten sechs Tage in der Woche. Sie und die andere Studentin jobbten jeweils drei. Außerdem gab es noch einen Geschäftsführer und eine dünne Frau mittleren Alters an der Kasse, die schon seit der Eröffnung des Restaurants dort zu sitzen schien. Wie die düstere Alte aus Klein Dorrit von Dickens rührte sie sich so gut wie nie vom Fleck. Sie kassierte und beantwortete das Telefon. Andere Aufgaben hatte sie nicht. Sie war stets schwarz gekleidet und machte nur im äußersten Notfall den Mund auf. Sie wirkte kalt und hart, und hätte man sie nachts auf dem Meer treiben lassen, hätte sie wahrscheinlich Schiffe gerammt und versenkt.
    Der Geschäftsführer hatte die Mitte der vierzig bereits überschritten. Er war groß und breitschultrig und in seiner Jugend vielleicht Sportler gewesen, doch nun begann er, an Bauch und Kinn Fett anzusetzen, und sein kurzes borstiges Haar war in der Mitte des Scheitels schon etwas schütter. Überdies haftete ihm der muffige Geruch eines alternden Junggesellen an, der sie an Zeitungen und Hustenbonbons erinnerte, die längere Zeit zusammen in einer Schublade gelegen haben. Ein unverheirateter Onkel von ihr roch genauso.
    Der Geschäftsführer trug gewöhnlich einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine Fliege. Keine fertige, wohlgemerkt, sondern eine richtige, die er – sein ganzer Stolz – selbst binden konnte, ohne in den Spiegel zu schauen. Seine Aufgabe war es, die Gäste zu empfangen und zu verabschieden, Reservierungen entgegenzunehmen, Stammgäste lächelnd mit Namen zu begrüßen, allen Beschwerden ein aufmerksames Ohr zu schenken, sich kompetent zu Fragen des Weins zu äußern und die Arbeit der Kellner und Kellnerinnen zu überwachen. Zu den Pflichten, denen er Tag um Tag gewissenhaft nachkam, gehörte es auch, dem Inhaber des Restaurants das Abendessen in die Wohnung zu bringen.
    »Der Inhaber hatte ein Zimmer im fünften Stock desselben Gebäudes. Eine Wohnung oder ein Büro oder so was«, erzählte sie mir, als wir aus irgendeinem Grund auf unsere zwanzigsten Geburtstage zu sprechen gekommen waren. Die meisten Menschen erinnern sich noch gut an diesen Tag. Ihr Zwanzigster lag etwa zehn Jahre zurück.
    »Aber im Restaurant ließ er sich niemals blicken. Der Geschäftsführer war der Einzige, der ihn zu Gesicht bekam, weil er ihm ja das Essen brachte. Keiner der anderen Angestellten hatte ihn je gesehen.«
    »Der Inhaber ließ sich das Abendessen immer aus seinem eigenen Restaurant kommen?«
    »Genau«, sagte sie. »Der Geschäftsführer brachte es ihm jeden Abend um acht Uhr hinauf. Ausgerechnet in der Zeit, in der wir am meisten zu tun hatten und er eigentlich dringend im Restaurant gebraucht wurde. Da gab es wohl nichts zu wollen, denn dieses Ritual bestand offenbar schon seit Urzeiten. Das Essen wurde auf einen Rollwagen, wie Hotels sie für den Zimmerservice benutzen, geladen, den der Geschäftsführer dann mit beflissener Miene in den Aufzug schob. Nach etwa fünfzehn Minuten kam er ohne den Wagen zurück. Eine Stunde später fuhr er wieder hinauf, um das Geschirr zu holen. Das Ganze wiederholte sich jeden Tag nach exakt dem gleichen Muster. Als ich es zum ersten Mal sah, fand ich es ziemlich merkwürdig, fast wie eine religiöse Zeremonie oder so was, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich daran und fand nichts mehr dabei.«
    Der Inhaber aß ausnahmslos Huhn. Zubereitungsart und Gemüsebeilagen

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