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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dagegen.« Abteilungsleiter Sakaki wandte sich an den Affen. »He, du. Schwörst du, dass du dich nie mehr im 23. Bezirk blicken lässt, wenn wir dich freilassen?«
    »Ich schöre es, Herr Abteilungsleiter Sakaki. Ich werde nie mehr in die Stadt zurückkehren. Und niemandem mehr Ungelegenheiten bereiten. Nie mehr werde ich in der Kanalisation herumlungern. Ich bin nicht mehr jung, und das ist eine gute Gelegenheit, mein Leben noch einmal zu ändern«, versprach der Affe demütig.
    »Sicherheitshalber sollten wir ihm ein Zeichen auf den Hintern brennen, damit wir ihn wiedererkennen«, schlug Sakurada vor. »Wir haben hier irgendwo ein elektrisches Eisen, mit dem wir immer das offizielle Siegel von Shinagawa anbringen.«
    »Oh, bitte, tun Sie das nicht«, jammerte der Affe. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Wenn Sie mir irgendein Zeichen einbrennen, verjagen mich die anderen Affen. Ich werde Ihnen alles offen und ehrlich sagen, aber bitte brandmarken Sie mich nicht.«
    »Das geht sowieso nicht«, sagte Abteilungsleiter Sakaki. »Wenn er das offizielle Siegel von Shinagawa trägt, sind wir später für alles Mögliche verantwortlich.«
    »Stimmt, Chef. Da haben Sie Recht«, sagte Sakurada enttäuscht.
    »Dann sagen Sie mir jetzt, welche üblen Dinge meinem Namen anhaften.« Mizuki starrte dem Affen in die kleinen roten Augen.
    »Es tut mir leid, aber die werden Sie sicher sehr verletzen.«
    »Egal, raus damit.«
    Bekümmert zog der Affe die Stirn in tiefe Falten. »Vielleicht wäre es besser, wenn Sie nichts davon erführen.«
    »Schon gut. Ich will es wirklich wissen.«
    »Ich verstehe«, sagte der Affe. »Also sage ich es Ihnen: Ihre Mutter liebt Sie nicht. Sie hat Sie nie geliebt, auch nicht, als Sie klein waren. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber es ist so. Ihre Schwester mag Sie auch nicht. Ihre Mutter hat Sie nach Yokohama zur Schule geschickt, weil sie Sie los sein wollte. Ihre Mutter und Ihre Schwester wollten, dass Sie so weit wie möglich fort sind. Ihr Vater ist kein schlechter Mensch, aber er hat kein besonders ausgeprägtes Verantwortungsgefühl, deswegen konnte er nicht für Sie eintreten. Als Sie klein waren, wurden Sie nicht genug geliebt. Gespürt haben Sie das sicher, aber Sie haben vor dieser traurigen Tatsache absichtlich die Augen verschlossen und sie in eine dunkle Ecke Ihres Herzens verdrängt, den Deckel zugemacht und versucht zu leben, ohne daran zu denken. Diese Abwehr ist ein Teil Ihrer Persönlichkeit geworden. Nicht wahr? Aus diesem Grund sind Sie nicht in der Lage, ernsthaft und vorbehaltlos zu lieben.«
    Mizuki schwieg.
    »Es sieht so aus, als führten Sie gegenwärtig ein problemloses, glückliches Eheleben. Vielleicht empfinden Sie es ja sogar wirklich so. Aber Sie können Ihrem Mann keine tiefe Liebe entgegenbringen. Ist es nicht so? Wenn Sie nichts dagegen unternehmen und Sie bekommen ein Kind, wird ihm womöglich das Gleiche geschehen.«
    Mizuki sagte nichts. Mit geschlossenen Augen sank sie zu Boden. Ihr war, als würde ihr ganzer Körper sich auflösen. Ihre Haut, ihre Organe, ihre Knochen, alles schien zu zerfallen. Sie hörte nur noch ihren eigenen Atem.
    »Für einen Affen redet der Kerl ganz schön wirres Zeug daher«, sagte Sakurada kopfschüttelnd. »Chef, ich kann es nicht mehr aushalten. Los, wir verpassen ihm eine Tracht Prügel.«
    »Warten Sie«, sagte Mizuki. »Was er sagt, stimmt. Ich weiß es schon lange. Aber ich habe es mir nie eingestehen wollen. Habe meine Augen und Ohren verschlossen. Er sagt nur die Wahrheit. Bitte, verzeihen Sie ihm. Und lassen Sie ihn in den Bergen frei.«
    Tetsuko Sasaki legte die Hand auf Mizukis Schulter. »Genügt Ihnen das?«
    »Ja, wenn ich nur meinen Namen zurückbekomme, bin ich zufrieden. Von nun an werde ich mit allem leben, was für mich erreichbar ist. Und zu meinem Leben gehört mein Name.«
    Tetsuko Sakaki wandte sich an ihren Mann. »Was hältst du davon, am nächsten Wochenende mit dem Wagen einen Ausflug zum Takaoberg zu machen und den Affen an einer geeigneten Stelle abzusetzen? Wäre das nicht nett?«
    »Natürlich, das machen wir«, sagte Abteilungsleiter Sakaki. »Gerade die richtige Entfernung, um unser neues Auto mal auszuprobieren.«
    »Sie sind zu gütig. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte der Affe.
    »Dir wird doch nicht etwa schlecht beim Autofahren, oder?«, fragte ihn Tetsuko Sasaki.
    »Nein, auf keinen Fall werde ich auf Ihre neuen Sitze spucken, pinkeln oder sonst

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