Blinde Zeugen: Thriller
schloss ab und folgte ihr, um im letzten Moment rasch die Straßenseite zu wechseln, damit er sich dem Typen unauffällig von hinten nähern konnte.
Dabei hätte der Mann in der beigefarbenen Strickweste wahrscheinlich sowieso nichts gemerkt, so sehr war er damit beschäftigt, ein kleines Mädchen durch den Zaun hindurch anzulächeln. Blonde Haare, zu Zöpfen geflochten, große blaue Augen.
»Weißt du was«, sagte der Mann, während er mit den Händen in den Hosentaschen wühlte, »meine Hundemama ist ganz krank und kann nicht für ihre Babys sorgen. Ist das nicht traurig?«
Das kleine Mädchen nickte.
»Möchtest du sie gerne sehen? Vielleicht könntest du eins mit nach Hause nehmen? Würde dir das gefallen?« Und dabei arbeiteten die Hände in seiner Hose schneller und schneller. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. »Würdest du gerne meine … o Gott … Hündchen sehen?«
»Mein Gott, Rory«, sagte Steel und lehnte sich lässig an das Auto des Mannes, »du bist wirklich ein wandelndes Klischee.«
Rory richtete sich blitzschnell auf und warf eine Handvoll Briefchen über den Schulhofzaun. »Ich hab nichts getan! Sie können mir nichts nachweisen. Ich –«
Logan legte ihm die Hand auf die Schulter. »Rory Simpson, ich verhafte Sie wegen Verstoßes gegen Paragraph 5, Absatz 1 des Zusatzes zum Schottischen Straf–«
»Nein – ich hab nichts getan! Ich bin nur – mmmpf!«
Steel hatte ihm eine Hand auf den Mund gelegt. »Denk doch an die Kleinen, Rory – wir wollen doch ihre unschuldigen kleinen Ohren nicht mit schmutzigen Lügen verderben. Also, lässt du dich diesmal friedlich abführen, oder willst du wieder kreischen und um dich schlagen wie ein Mädchen?«
Rory biss sich auf die Unterlippe, runzelte die Stirn und sagte: »Ich glaube, diesmal lasse ich mich friedlich abführen.«
»Gute Entscheidung, ist auch viel würdevoller.« Steel nickte Logan zu. »Schau doch mal, was er da den Löwen ins Gehege geworfen hat.« Dann führte sie Rory Simpson die Straße entlang zum Wagen.
Zehn Minuten später kletterte Logan auf den Fahrersitz des funkelnagelneuen Vauxhall, für den er an diesem Morgen unterschrieben hatte. Rory und Inspector Steel saßen auf dem Rücksitz wie ein ältliches Ehepaar, das sich schon auf den Sonntagsauflug mit der Verwandtschaft freut.
»Hier«, sagte Logan und reichte einen transparenten Beweismittelbeutel nach hinten, in dem ganz unten ein kleines Häufchen weißer Briefchen lag, jedes ungefähr so groß wie eine Pfundmünze. »Das ist alles, was ich finden konnte. Es waren wahrscheinlich noch mehr, aber die kleinen Bälger wollten nicht reden.«
DI Steel öffnete den Beutel und schnupperte daran. »Na kommt schon, Rory: Was finden wir, wenn wir das Zeug hier ins Labor schicken – Puderzucker? Waschpulver? Crack?«
Rory zuckte mit den Achseln. »Sie wissen doch, wie das heutzutage ist, Inspector …«
»Ja, ja, ich weiß – die Sechsjährigen interessieren sich alle nur noch für Playstations, Tattoos und Gruppensex. Sprich dich nur aus.«
»Ist nicht mehr so, wie’s zu unserer Zeit war, oder? Damals sind sie noch für ’n Tütchen Brause zu dir ins Auto gestiegen. Heute wollen sie alle Drogen, Alk und Cash.« Rory schüttelte den Kopf. »Sehen aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben …« Ein mildes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Rory, wenn du auch nur über irgendwelche Wasserspielchen mit kleinen Mädels nachdenkst , lasse ich dich von meinem Sergeant hier raus in die Pampa fahren und dir jeden Knochen im Leib brechen.«
»Ist doch bloß ’ne Redewendung … Ich meine, gucken Sie sich doch mal das kokette Biest da drüben an«, sagte er und deutete auf den Trupp uniformierter Zwerge, die gerade kreischend zu ihrem Klassenzimmer zurückrannten. »Die hat genau gewusst, was sie tut, ich sag’s Ihnen. Ohne Gegenleistung läuft bei der gar nix. Ist echt deprimierend.«
Eine blecherne Stimme mit Banff-Akzent tönte aus dem Funkgerät: » Alpha Drei-Siehm, von der Leitstelle –«
»Ach du Kacke.« DI Steel grabschte nach dem Handapparat. »Wir … bei … nicht … over?« Und dann schob sie noch ein oscarreifes statisches Rauschen nach: » Kchhhhhhhhhhhhh …«
»Aye , netter Versuch. Also: Zwischenfall am Primrosehill Drive. Hört sich nach ’nem Familienkrach an. Ich hab sonst keinen Streifenwagen frei, und ihr seid am nächsten –«
Steel verzog das Gesicht. »Tut mir leid, Dougie, aber wir sind in Altens, meilenweit
Weitere Kostenlose Bücher