Blinder Eifer
finden.« Ihr Ton wurde äußerst unwirsch. »Ich begreife nicht, wieso immer alle zu mir gerannt kommen, wenn sie etwas suchen.«
»Ich auch nicht«, meinte Miles. »Sie verschanzen sich doch tagein, tagaus in Ihrer winzigen Bude. Und Lady Kennington .«
Pollys Augen wurden dunkler, ja veilchenfarben. Das verhieß nichts Gutes, Jury mußte an einen Gewitterhimmel mit dem letzten violetten Licht über den Bergen denken. Da er Polly kannte, wußte er, hier war ein Gewitter im Anzug. »Sie ist in Stoning-ton«, blaffte sie.
»Stonington! Was um alles in der Welt macht die Frau in Stonington? Du lieber Himmel, sie will es doch nicht etwa - also, sie will es doch nicht etwa kaufen? Die ist doch arm wie eine Kirchenmaus, jetzt wo Lord Kennington tot ist. Sylvia sagt immer: >Hochmut kommt vor dem Fall.< Auf sie trifft das gewiß zu. War ja nicht anders zu erwarten, die Frau hat kein Talent, keinen Beruf!« Miles schlug mit dem Spazierstock in die Hecke.
»Sie können Freddie Mainwaring fragen, er ist immer noch der Makler. Sie muß bei ihm gewesen sein. Gehen Sie mit ins Magic Muffin? Ich wollte gerade dorthin.«
Jury machte den Mund auf und wollte gerade freundlich nein sagen, da antwortete Miles Bodenheim für ihn. »Ho! Ho! Miss Pettigrew hat wahrscheinlich heute wieder nur Auberginen, ekelhafte, labbrige Dinger! Aber ich habe noch ein paar Minuten Zeit, die kann ich genausogut dort wie woanders totschlagen.«
»Ich bin ein wenig in Eile, Polly.«
Die Enttäuschung schien sie niederzudrücken, aber sie rappelte sich ein wenig auf und fragte: »Was hat sie verbrochen? Melrose hat gesagt, die Polizei wollte sie wegen irgendwas sprechen.«
»Was?« Mit großen Augen kam Miles die paar Schritte zurück, die er schon (in Erwartung, daß ihm alle folgen würden) in Richtung Magic Muffin gelaufen war. »Die Kennington? Die Polizei hinter ihr her? Das überrascht mich nicht, und Sylvia bestimmt auch nicht. Also, Mr. Jury, wie erklären Sie es sich?« Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Überhaupt nicht.« Jury verabschiedete sich von Polly und ging zu seinem Auto.
48/II
Weder vor noch hinter den hohen grauen Mauern von Stonington standen ein Bentley oder ein Silver Ghost.
Es gab überhaupt kein Anzeichen von Leben, keine Katze, keinen Maulwurf, keine Maus. Nichts. Jury ging die breite Treppe hinauf und hob einen schweren Türklopfer in Gestalt eines einst glänzenden, nun oxidierten grünlich-grauen Kupferfischs. Unter dem Druck öffnete sich die unverschlossene Tür einen Spaltbreit. Er schob sie mit der Hand weiter auf. Vorsichtig, als würde ich jemanden in flagranti ertappen, dachte er.
Aber er betrat nur eine noch tiefere Stille, eine größere Leere als die draußen in der Auffahrt und dem Park. Er blieb in der Eingangshalle stehen. Sie war geräumiger als die meisten Zimmer, besaß einen schwarzweißen Marmorboden in Schachbrettmuster, grüne Marmorkonsolen an beiden Wänden und die weiße Marmorskulptur einer Frau an dem gewundenen Treppenaufgang. Es war die scheußliche Reproduktion eines einstmals scheußlichen Originals, einer reizlosen, ungraziösen Gestalt mit einem ausgestreckten Arm, den Jenny (die sie haßte) immer benutzt hatte, um ihren Mantel daran zu hängen. Auch ihren Hut hatte sie der Statue aufs Haupt gedrückt. Da ist sie wenigstens zu etwas nutze, hatte sie gesagt. Nun hingen weder Mantel noch Hut daran.
Aber in einiger Entfernung hörte Jury Stimmen, auch wenn er die Richtung nicht ausmachen konnte. Er lief in das erste Zimmer, das von der Marmorhalle abging, ein schmales Arbeitszimmer mit einer Verandatür, die drei, vier Zentimeter offenstand. Durch diese Tür kamen die Stimmen, deren Besitzer er nicht sehen konnte. Er ging ins nächste Zimmer. Alle Räume des Hauses waren durch Türen miteinander verbunden, und man konnte von einem zum anderen gehen und hatte immer den Hof im Blick. Der Architekt mußte eine klosterähnliche Anlage im Kopf gehabt haben.
Dieses Zimmer war riesengroß, wahrscheinlich das Eßzimmer. Jury erinnerte sich, wie er vor all den Jahren hier mit Jenny gestanden hatte (und es war damals genauso leer gewesen wie heute, weil sie ja schon beim Ausziehen war). Sie und Melrose unterhielten sich nun draußen im Hof. Oder schauten sich das Haus an, denn sie zeigte auf irgend etwas im ersten Stock. Melrose lachte.
Hätte Jury sie vom Arbeitszimmer aus gesehen, wäre er durch dessen Verandatür in den Hof gegangen. Aber hier in dem Eßzimmer gab es keine Tür. Also
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