Blinder Einsatz
Zwar besaß ich einen gewissen Namen, doch in den letzten Jahren hatte ich mich vor allem um die Erziehung meiner Tochter gekümmert. Ich konnte mir aber gut vorstellen, als Berater für den Vorstand zu arbeiten, mich auf dem Markt für Generika umzuschauen und an der Entwicklung neuer Geschäftsfelder zu arbeiten, wie ich das zuvor für Apple und einen großen Internetprovider gemacht hatte. Der Gedanke, wieder einmal an einer Revolution im Wirtschaftsleben teilzunehmen, reizte mich.
Jane Kramer freute sich sehr auf die Zusammenarbeit mit mir. Wegen meines Beitrags zum Start ins Internetzeitalter hielt sie große Stücke auf mich. Ich hatte mir schon vor unserem Gespräch Gedanken darüber gemacht, wie die Zukunft der pharmazeutischen Wirkstoffe aussehen könnte. Die Grundfrage war, ob man sie zu einem gemeinschaftlichen Erbe der Menschheit erklären oder ob man sie verstärkt unter den Schutz des Patentrechts stellen sollte. Wie sah die Entwicklung der Gesetzgebung in den Ländern der Welt aus? Kramer Investment hatte ein klares Ziel vor Augen: möglichst vielen Menschen zu möglichst niedrigen Kosten die hochwirksamen Medikamente von KPharma zugänglich zu machen. Natürlich war und blieb Kramer Investment ein Unternehmen, das sein Engagement für den Fortschritt und die Menschen mit Gewinnen für seine Aktionäre zu verbinden versuchte.
Am Anfang meiner Tätigkeit für Kramer standen viele Reisen. Ich nahm an zahlreichen Konferenzen teil, ich lernte das gesamte Unternehmen mit seinen über die ganze Welt verstreuten Produktionsstätten und Vertriebszentren kennen. Ich krempelte die Strukturen des Unternehmens von Grund auf um, was allerdings viel Zeit in Anspruch nahm. Die ersten Ergebnisse waren ermutigend, dennoch setzten sich unsere Generika auf dem Weltmarkt nur langsam durch.
Der Konzern steckte beinahe sechs Jahre lang viel Geld und Arbeitskraft in dieses Projekt. Das Ergebnis war, dass das Kerngeschäft von Kramer Einbußen erlitt. Die Börse reagierte unerbittlich. Es wurde immer schwieriger, den Aktionären eine Strategie plausibel zu machen, deren Früchte man erst in zehn Jahren oder noch später ernten würde. Schließlich versuchte man sie mit moralischen Argumenten zu überzeugen.
»Sie werden sehen, Kramer wird in die Geschichte eingehen, wenn wir die Anfangsschwierigkeiten bei der Vermarktung unserer Generika überwunden haben.«
Aber schließlich behielt bei den Aktionären das klassische Gewinnstreben die Oberhand. Ihre Visionen reichten in der Regel nicht weiter als bis zu den nächsten Quartalszahlen. So geriet Jane Kramer immer stärker unter Druck, da die Anteilseigner um ihre Dividenden bangten.
Einmal, nach einer turbulenten Sitzung des Aufsichtsrats, rief mich Jane Kramer mitten in der Nacht an. Sie müsse unbedingt mit mir sprechen, sagte sie. Ich warf einen Blick auf die schlafende Frau neben mir, mit der ich ein neues Leben aufbauen wollte. Sie wusste nichts von meiner Vergangenheit. Um ein Haar hätte ich geantwortet, dass ich jetzt nicht kommen könne. Ich hätte die Kraft aufbringen müssen, meinem Privatleben den Vorzug zu geben. Es war ein Augenblick der Entscheidung, in dem ich eine schlechte Wahl traf, wenn man bedenkt, wohin ich heute geraten bin. Ich habe also ja gesagt und Jane Kramer um zwei Uhr in der Nacht in ihrem Büro aufgesucht.
So hatte ich sie noch nie erlebt. Sie empfing mich unfrisiert und mit einem Glas in der Hand. Sie hatte völlig ihre gewohnte Souveränität verloren und sah mich verunsichert, ja geradezu verstört an. Fahrig berichtete sie mir, was auf der Verwaltungsratssitzung geschehen war. Die Aktionäre wollten nichts mehr von der großen Vision der Jane Kramer wissen. Ihr war ein Ultimatum gestellt worden: Sie hatte drei Monate Zeit, ein Projekt auf die Beine zu stellen, das innerhalb eines Jahres große Gewinne abwarf. Die Stimmung war sehr gereizt gewesen. Jane Kramer hatte ihr ganzes Renommee in die Waagschale geworfen, aber man hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht nach ihrem Belieben schalten und walten könne. Das Familienunternehmen gehöre nicht mehr ihr, es sei Eigentum der Aktionäre, sie sei lediglich die Vorstandsvorsitzende. Man hatte enormen Druck auf sie ausgeübt, ohne jeglichen Respekt vor ihrem Ruf und dem ihrer Familie.
Von mir erwartete sie, dass ich einen Ausweg fand, einen Plan aufstellte, der es Kramer Investment gleichzeitig erlaubte, sein Engagement auf dem Gebiet der Generika weiter zu verfolgen.
Weitere Kostenlose Bücher