Blinder Einsatz
Sie mit den Leuten von Powerfood zu tun?«
»Nein, die Firma heißt Kramer.«
»Kramer Investment, oder?«
»Sind Sie von der Konkurrenz?«
»Nein, nein. Es interessiert mich nur so.«
»Sie sehen aus, als könnten Sie vor allem frische Luft gebrauchen. Sie sind ja ganz blass.«
»Es geht schon. Aber erzählen Sie mir doch, was Ihre Kunden wollten. Wann hat Kramer Investment Sie kontaktiert?«
»Vor rund acht Monaten. Wir brauchten Zeit, um ihre Wünsche umzusetzen, und mussten die Karten und Chips herstellen. Das Ganze unterlag strengster Geheimhaltung.«
Acht Monate. Zu diesem Zeitpunkt stand die Kampagne sicher schon. Da der Domainname eine zentrale Rolle dabei spielte, konnten sie den natürlich nicht ein paar Wochen vorher einfach ändern. Eine ideale Verhandlungsposition für Philippe. Aber noch immer war ihm nicht klar, warum Kramer Investment eine Million Dollar für den Domainnamen springen ließ, der nur ein Teil ihrer Marketingstrategie war, wenn dabei nicht bedeutend höhere Summen auf dem Spiel standen.
Der Alkohol hatte dem Italiener die Zunge gelöst:
»Die Figuren unserer Kartenspiele sollten Vornamen tragen, so wie beim französischen Spiel. Normalerweise sind bei offiziellen Turnieren alle Aufschriften verboten, aber sie haben sich irgendwie durchgesetzt. Wir haben also die Vornamen der Figuren auf die Karten gedruckt. César, Alexandre, David, Rachel, Hector, Lahire … Und sie mussten auch alle in einer besonderen Haltung dargestellt werden, die sich von der normalen unterscheidet.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Wir führen die Aufträge unserer Kunden aus und stellen keine überflüssigen Fragen.«
»Wie sind die Figuren denn dargestellt?«
»Zum Beispiel die Herzdame, Judith, hält eine Geldbörse in der Hand. Vielleicht kann ich sie Ihnen zeigen, sie kommt im Abspann vor der Werbepause. Ja, genau, da ist sie ja.«
Sander und Noah bemerkten den Unterschied, aber nur weil sie darauf aufmerksam gemacht worden waren. Ansonsten wäre ihnen nichts aufgefallen. Die Spieler hatten gerade wieder Platz genommen, um ihren »Marathon« fortzusetzen.
»So ist es auch mit den anderen Figuren, Alexandre, César … Das habe ich vorhin gemeint, die Vornamen der Figuren und die vier Farben haben normalerweise eine historische oder biblische Bedeutung. Kramer, unser Auftraggeber, hat uns genaue Symbole vorgegeben: für Pik eine Pike oder Hellebarde, für Karo eine Armbrust, für Herz ein »K« in den Farben von Kramer Investment, für Kreuz …«
Der junge Italiener geriet ins Stocken. Der Barmann hatte eine Flasche fallen lassen. Sander und Noah starrten ungläubig auf das, was sich auf dem Bildschirm abspielte: Der Dealer am Spieltisch sackte in sich zusammen, der grüne Filz färbte sich auf der Stelle dunkelrot. Die Zuschauer drängten schreiend aus dem Saal, in dem das Poker-Event stattfand. Man hörte Schüsse. Alle Spieler gingen wie auf Kommando unter dem Tisch in Deckung.
Am linken Bildrand sah man den Lauf einer Waffe. Unmöglich, die Schützen zu identifizieren. Die Sicherheitskräfte schienen zu überrascht, um einzugreifen.
Dreihundert Millionen Menschen wohnten live dem Attentat bei und mussten ohnmächtig das blutige Geschehen mitansehen. Nach kurzer Zeit wurde die Übertragung unterbrochen und Werbung gesendet.
6
Wer im Spiel betrügt und verliert,
ist ein Dummkopf.
Voltaire, Lobrede auf die Heuchelei
The New York Times – 13. Juli
Das Main Event der World Series of Poker (WSOP), das den Höhepunkt der Pokerweltmeisterschaft bildet, endete mit einer Tragödie. Vier vermummte Männer stürmten mit automatischen Waffen das Casino des Bellagio in Las Vegas und schossen wahllos in die Menge. Die traurige Bilanz: zweiundvierzig Tote und hundertfünfzig Verletzte. Drei der vier Verbrecher wurden von der Polizei getötet, der vierte befindet sich in kritischem Zustand. Der Bürgermeister von Las Vegas hat den Notstand ausgerufen. In sämtlichen Casinos wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Bislang hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Derzeit gibt es nur Spekulationen, wer hinter diesem Anschlag stecken könnte, einem der schwersten, die Las Vegas in seiner Geschichte heimgesucht haben.
Der Geschäftsführer des Bellagio bemühte sich unterdessen zu versichern, dass alle nur denkbaren Maßnahmen zur Sicherheit der Gäste getroffen wurden. Dennoch blieben nach der Schießerei zahlreiche Gäste aus.
The Daily Telegraph – 15. Juli
Am Tag nach dem Massaker
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