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Blinder Einsatz

Blinder Einsatz

Titel: Blinder Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Lafani , Gautier Renault
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bei der Enthüllung von Picassos berühmter Skulptur in Chicago – ich erinnere mich noch genau, wie ich zu der zwanzig Meter hohen Skulptur aufsah, die an einen Frauenkopf erinnert. Mir wurde richtig schwindlig, so als würde sich der Himmel über mir drehen. Einen ähnlich tiefen Eindruck hinterließ die Premiere von Hair am Broadway im April 1968.
    Mit diesen Reisen und Besuchen wollte mir meine Mutter einen anderen Blick auf die Welt vermitteln.
    Während all dieser Jahre hatte ich nur wenig Gelegenheit, Kontakte mit meinen Mitschülern zu pflegen. Dafür besuchte ich sehr oft meinen Vater auf dem Campus. So kam es, dass meine Freunde sämtlich Studenten und damit viel älter waren als ich.
    In den Gesprächen mit ihnen erschloss sich mir der Reichtum dieser Reisen und der besonderen Momente, an denen ich teilhatte.
    Nachdem ich die Schule quasi nebenbei absolviert hatte, war es für mich auch nichts Besonderes, einen Studienplatz in Harvard zu bekommen – was ich außer meinem guten Abschlusszeugnis vor allem der Tatsache verdankte, dass ich fließend vier Sprachen beherrschte. Eigentlich setzte ich nur das Studentenleben, das ich ohnehin schon führte, auf einem anderen Campus fort.
    Zwei Wochen bevor ich mein Studium in Boston begann, hing ich noch auf dem Campus von Champaign mit zwei Freunden herum, die dort an den Sommerkursen teilnahmen. Ich bereitete mich auf eine neue Etappe meines Lebens vor. Es war eine Zeit des Aufbruchs: Am 21. Juli hatte Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten.
    Gerüchte über ein großes Festival machten auf dem Campus die Runde. Auf Flugblättern stand zu lesen: »Drei Tage Frieden und Musik. Riesig viel Platz. Geht mal drei Tage spazieren, ohne einen Wolkenkratzer oder eine Ampel zu sehen. Lasst einen Drachen steigen, legt euch in die Sonne. Kocht euer eigenes Essen und genießt die frische Luft.«
    Wir sind spontan losgefahren, haben den Campus hinter uns gelassen, wir wollten auch einmal unterwegs sein, wie es Kerouac beschrieben hatte. So war ich nach einer zweitägigen Fahrt dabei, als Jimi Hendrix aus Protest gegen den Krieg in Vietnam auf seiner Gitarre die amerikanische Nationalhymne zerschredderte. Das war Woodstock, der Sommer 1969.
    Für mich, der ich noch nie ohne meine Eltern verreist war, waren diese drei Tage ein ungeheures Erlebnis, ein einziges Roadmovie, in dem die Zeit aufgehoben schien – ob es Tag oder Nacht war, hatte für uns gar keine Bedeutung. Wir erlebten echte Freiheit, wollten bis ans Ende der Welt. Doch in unserem Innern verstummte nicht die hartnäckige Mahnung der Gesellschaft: »Komm zurück, mach dein Studium.« Rasch war der Zauber verflogen: Trotz allen revolutionären Gehabes beugten wir uns unter das Joch der Realität.

4

    Es gehört zum Spiel, den Betrüger zu betrügen.
    Charles Perrault, Fabeln

    Bloemendaal
    Am Bahnhof angekommen ging Lars rasch durch die Sperre und lief dann, die Kapuze seiner Jacke über den Kopf gezogen, bis zum Ende des Bahnsteigs. Dort trat er nervös auf der Stelle, sein Blick wanderte unruhig umher. Vor seinem inneren Auge standen Bilder von Blut, er sah seine Mutter, die Augen seines Vaters, das Feld, durch das er gelaufen war, alles wild durcheinander, er schaffte es nicht, es in eine Reihenfolge zu bringen. Nach fünf Minuten kam der Zug. Lars stieg ein, hinter ihm ein weiterer Fahrgast, den er auf dem Bahnsteig gar nicht bemerkt hatte. Ansonsten war der Waggon leer. Lars wartete einen Augenblick, bis der andere seinen Platz gewählt hatte, er wollte ihm auf keinen Fall gegenübersitzen. Und schon gar nicht angestarrt werden.
    Dieser Freitagabend hatte sein Leben aus der Bahn geworfen. Wie schön wäre es jetzt, sich vorzustellen, dass seine Mutter ihn angerufen hatte, um ihn zum Essen einzuladen, sich darauf zu freuen, dass sein Vater sich mit ihm ein Fußballspiel ansehen würde. Wie gerne hätte er jetzt die Stimmen seiner Eltern gehört. Doch es gelang ihm nicht, sich in diesen Traum zu flüchten. Da war etwas, das ihn nicht mehr losließ: das Bild seiner Eltern, wie sie auf dem Boden lagen. Schmerz und Verzweiflung ergriffen ihn. Doch er brauchte ein Alibi. Sonst kam das Unvermeidliche: Gefängnis, verlorene Jahre, Resozialisierung, Einsamkeit.
    Niemand würde für ihn lügen, so viel war klar. Konnte er nicht einfach behaupten, er hätte sich das Fußballspiel angeschaut? Fieberhaft ging er Strategien durch, eine aussichtsloser als die andere. Zwischendurch schluchzte er immer wieder

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