Blinder Einsatz
Ausbruch des Kriegs wuchs jedoch der Druck auf die Universitäten.
Anfang 1943 wurde meine Mutter schwanger. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich in die Beschränkungen des Naziregimes zu fügen. Auch mein Vater kam von jeder seiner Reisen einsilbiger zurück.
Als sich 1943 die Niederlage Deutschlands abzuzeichnen begann, wurde mein Vater von einem amerikanischen Spion angesprochen, der ihm die Chance seines Lebens bot: entweder sich weiter unter den Nazis ducken, um dann nach dem Krieg vielleicht doch als Unterstützer des Hitlerregimes zu gelten, oder Deutschland umgehend mit seiner Frau und seinem noch ungeborenen Kind zu verlassen, um mit seinen Mitteln das Hitlerregime zu bekämpfen. Die Amerikaner luden ihn ein, sich in den USA niederzulassen und an der Verbreitung der Idee der Freiheit in der Welt teilzuhaben.
Bei einer Konferenz Anfang 1944 in Paris schaltete der amerikanische Geheimdienst die Aufpasser meines Vaters aus und organisierte seine Flucht.
Alles geschah so schnell und überstürzt, dass meine Mutter fürchtete, ihr Kind zu verlieren. Kaum hatten sie Paris verlassen, ging es weiter nach England, wo sie schon am nächsten Tag ein amerikanisches Flugzeug bestiegen. Am 15. Februar 1944 betraten sie amerikanischen Boden.
Fünf Monate später kam mein älterer Bruder John in einem Vorort von Washington zur Welt. Meine Eltern gaben ihm mit Bedacht einen amerikanischen Vornamen, um ihm die Integration zu erleichtern – er hätte ursprünglich Karl heißen sollen, nach meinem Großvater. Sie signalisierten damit auch, dass sie alle Brücken hinter sich abgebrochen hatten und überzeugt waren, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Ich kam acht Jahre später in Champaign im Bundesstaat Illinois zur Welt, wo mein Vater einen Lehrstuhl innehatte.
Kaum hatte ich laufen gelernt, nahm mich meine Mutter auf den Campus zu meinem Vater mit, der viele Stunden außerhalb des Hörsaals in seinem Büro verbrachte. Seine Studenten gewöhnten sich bald daran, mich auf den Fluren spielen zu sehen.
Mit sechs kam ich in die Schule. Dort hatte ich keinerlei Schwierigkeiten. Meine Mutter hatte mich schon früh in die amerikanische Kultur eingeführt: Statt der üblichen Märchen las sie mir amerikanische Vorkriegsautoren vor.
Manchmal saß ich in einem der stets proppenvollen Hörsäle, in denen mein Vater seine Vorlesungen hielt, und malte Bilder. Erst viele Jahre später wurde mir klar, dass mein Vater kein durchschnittlicher Professor war. Er war der Kopf einer intellektuellen Avantgarde und der Stolz seiner Universität.
Meine Schuljahre waren unbeschwert. Ich litt allerdings unter dem Auszug meines Bruders kurz vor meinem zehnten Geburtstag. Er ging 1962 an die University of California in Los Angeles, wo er in die Basketballmannschaft der Hochschule aufgenommen wurde, damals das beste Team der Welt. Sein Weg war damit vorgezeichnet, vier Jahre später startete er in der Profiliga.
Meine Mutter war etwas verwundert über die Wahl meines Bruders, kam sie doch aus einer Familie, in der Kultur immer über allem gestanden hatte. Trotzdem sah sie in dem sportlichen Erfolg meines Bruders den handgreiflichen Beweis einer gelungenen Integration in die amerikanische Gesellschaft. Auch sie litt darunter, dass er nicht mehr zu Hause wohnte, und übertrug all ihre Zuneigung und Aufmerksamkeit nun auf mich.
Zwischen meinem zehnten und meinem sechzehnten Lebensjahr machte ich meine intensivsten kulturellen Erfahrungen und erlebte Ereignisse mit, die, jedes auf seine Art, in die Geschichte eingingen.
Da waren etwa die Filmfestspiele in Cannes. Meine Mutter nahm mich dorthin mit, und so war es nichts Besonderes für mich, dort 1963 die Premiere von Viscontis Leopard zu erleben. Sie schwärmte für Burt Lancaster, seit er in Verdammt in alle Ewigkeit so glühend Deborah Kerr geküsst hatte – seinerzeit ein Skandal, der allerdings mehrere Generationen von Frauen zum Träumen brachte.
Obwohl ich erst elf war, spürte ich doch, dass ich an einem besonderen Ereignis teilnahm, dessen Ausstrahlung weit über die Croisette hinausging. Natürlich gehörten wir nicht zu den Glücklichen, die an der Premierenvorführung teilnehmen konnten, aber immerhin standen meine Mutter und ich beim Einzug der Stars am roten Teppich. Das war am Ende unserer Frankreichreise, die vor allem den Pariser Museen gegolten hatte.
Mit siebzehn hatte ich Bilder aus der ganzen Welt im Kopf. Ich war 1967 bei der Weltausstellung in Montréal dabei gewesen,
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