Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Um zu erkennen, ob sie an den Oberschenkeln gebissen worden war, hätte ich mich in den Matsch knien müssen, und das wollte ich nicht. Ganz einfach. Ich nahm mir fest vor, nie wieder irgendwohin zu fahren, ohne einen Overall und Dreckstiefel mitzunehmen. Ich hatte mir Handschuhe von Zerbrowski leihen müssen. Als ich mit dem Jeep von Hause weggefahren war, hatte ich meine Verabredung im Sinn gehabt, nicht die Arbeit. Wie dumm von mir.
Ich stand auf und überlegte, ob es anginge, dass ich mal nicht im Matsch herumkroch und mir sämtliche Bisse anguckte. »Sie ist fast einen Kopf größer als die andere. Auch blond, aber die Haare sind sehr kurz. Die andere hatte lange Haare. Davon abgesehen ist alles sehr ähnlich.«
»Die Zahnabstände stimmen überein.«
»Wer hat gemessen?«, fragte ich.
Er nannte mir den Namen, aber der sagte mir nichts. Ich war auf der anderen Seite des Flusses, und dort hatte ich selten Mordopfer zu begutachten. Zwar erledigte ich Hinrichtungen für Illinois, war aber selten als Gutachterin tätig. Ich wollte die Feststellung der Details keinem überlassen, den ich nicht kannte. Wenn nur ein Zahnabstand anders war, bedeutete das einen Wechsel in der Tätergruppe. Wir mussten wissen, ob wir nach fünf, sechs oder mehr Tätern suchten.
Seufzend holte ich mein kleines Maßband aus der Jackentasche, das ich mittlerweile bei den Feuchttüchern im Handschuhfach liegen hatte. Ich maß die leicht zugänglichen Bisse zuerst und ließ Zerbrowski die Ergebnisse notieren. Dann stützte ich zwischen den Beinen der Toten behutsam ein Knie auf. Der Morast war kalt. Ich spreizte die Beine der Toten und fand Bisse an der Innenseite der Oberschenkel. Ich maß alle aus, die ich finden konnte. Die Abstände stimmten mit denen an der vorigen Leiche überein. So ungefähr. Ich benutzte diesmal ein anderes Maßband, was ich eigentlich nicht tun durfte. Ich hätte mir nicht das vom Leichenbeschauer borgen sollen. Messinstrumente können voneinander abweichen. Theoretisch nicht, aber praktisch eben doch.
Vorsichtig erhob ich mich aus dem Kniestand. Mir ging es darum, nicht mit dem Hintern im Matsch zu landen. Hochhackige Stiefel waren nicht die beste Voraussetzung dafür. Darum war ich vorsichtig. »Der Club lässt seine Sicherheitsleute auch das Grundstück patrouillieren, mindestens von einem. Es ist Wochenende, da sollten es zwei sein. Haben die etwas gesehen oder gehört?«
»Einer hat die Tänzerin im Mantel herauskommen sehen. Sie hatte Feierabend. Er sah sie zu ihrem Wagen gehen«, er blätterte in seinem Notizbuch zurück, »dann war sie nicht mehr da.«
Ich sah ihn an. »Was haben Sie gesagt?«
»Er sagte, sie ging zu ihrem Wagen, er winkte ihr zu, dann lenkte ihn auf der anderen Seite des Parkplatzes etwas ab. Er blieb vage, worin die Ablenkung bestand, schwört aber, dass er nur kurz weggesehen hat. Als er wieder zu ihrem Wagen schaute, war sie verschwunden.«
»Verschwunden.«
»Ja. Warum machen Sie so ein Gesicht, als ob das was zu bedeuten hätte?«
»Ist er sofort zu ihrem Wagen gegangen?«
Er nickte. »Ja, und als er sie da nicht gefunden hat, ging er hinein, um nachzusehen, ob sie wieder rein ist. Nachdem sie drinnen auch nicht war, hat er einen Kollegen geholt und mit ihm das Gelände abgesucht. Dann haben sie sie gefunden.«
»Was meint er, wie lange er weggesehen hat?«
»Ein paar Sekunden lang.«
»Wurde überprüft, ob jemand gesehen hat, wie sie den Club verlassen hat? Ich würde gern wissen, zu welcher Uhrzeit das war und wie lange der Mann tatsächlich in die andere Richtung geschaut hat.«
»Lassen Sie uns aus diesem Loch steigen. Dann können wir nachfragen, wer sie beim Nachhausegehen gesehen und dabei auf die Uhr geguckt hat.«
Er blätterte in seinem Notizbuch. Die Grube war gut ausgeleuchtet; das Licht war unbarmherzig hell, sodass mir der Gedanke kam, die Tote zuzudecken, um sie nicht länger fremden Blicken auszusetzen. Sentimental, ich wurde eindeutig sentimental.
»Einer Frau unter den Gästen hat die Blonde tatsächlich so gut gefallen, dass sie auf die Uhr gesehen hat, als die den Club verließ.«
»Und wie passt das zur Aussage des Sicherheitsmanns?«
Er verglich die beiden Zeitangaben. »Da ergibt sich ein Zeitraum von zehn Minuten.«
»Das ist reichlich lange, um etwas anzustarren, über das er sich nicht mal so ganz im Klaren ist.«
»Sie glauben, er lügt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er hat ausgesagt, was er für wahr hält.«
»Verstehe ich
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