Blinder Instinkt - Psychothriller
ein Tisch, ein Stuhl, ein Einzelbett mit Bettzeug, aber unordentlich, ungemacht, schmutzig. Eine große Kiste voller Kleidungsstücke. Ein Teller auf dem Fußboden, eine zersplitterte Tasse, menschliche Exkremente dazwischen. Es stank widerlich. Er ging durch den Raum, stakste an den Exkrementen vorbei und probierte die andere Tür aus, die es auch in diesem Zimmer gab, doch sie war verschlossen. Ein Schlüssel steckte nicht. Unschlüssig drehte er sich im Kreis. Hier war jemand gefangen gehalten worden, wahrscheinlich das blinde Mädchen, und es schnürte ihm den Magen zusammen, wenn er sich vorzustellen versuchte, was die Kleine hier ausgestanden hatte. Wenigstens hatten sie sie lebend gefunden! Ein kleiner Trost für ihn, aber auch für sie?
Der Gestank trieb ihn hinaus.
Er folgte Paul Adamek in das mittlere Zimmer. Es war mit dem identisch, das er gesichert hatte. Mit dem Unterschied, dass hier die gegenüberliegende Tür geöffnet war. Paul stand regungslos darin, sein Waffenarm hing seitlich an seinem Körper, so als gäbe es keine Gefahr.
Kindler trat von hinten an seinen Chef heran, wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er wieder sprechen konnte.
»Was … zum Teufel ist das?«
Vor sich hatten sie die langgestreckte, vielleicht fünf Meter hohe Halle, die früher einmal die Kegelbahn des Gasthauses gewesen war. Doch sie war in etwas völlig anderes verwandelt worden.
In einen Regenwald!
Eine gigantische Variante des Terrariums, das sie in Sauters Stadtwohnung vorgefunden hatten.
Die Dachschrägen bestanden im First aus lichtdurchlässigen Platten, so dass Sonnenstrahlen das innere Dach aus Pflanzen grün erstrahlen ließen. Schling- und Kletterpflanzen, Lianen, große Gummibäume, dazwischen Palmen, Moose und Flechten am Boden. Von den Wänden rechts und links und dem Ende der Halle war dank des üppigen Bewuchses nichts zu sehen - eine scheinbar endlose, fremdartige grüne Welt lag vor den beiden Beamten. Selbst die Gerüche und Geräusche waren stimmig. Die Luftfeuchtigkeit war hoch, irgendwo plätscherte Wasser, und es roch nach süßlicher Fäulnis. Unter der Hallendecke verliefen Wasserleitungen mit Sprinklern, scheinbar dazu gedacht, künstlichen Regen auf den Wald niedergehen zu lassen. Sie hörten auch das Gezirpe von Grillen und das Gezwitschere kleiner Vögel, die sie aber nicht sehen konnten.
Hier hatte sich jemand verdammt viel Mühe gegeben und sicher Tausende Arbeitsstunden investiert - von dem finanziellen Einsatz ganz zu schweigen -, um etwas zu schaffen, was Paul bis dahin nur in professionellen Zoos oder Vergnügungsparks gesehen hatte. Eben die perfekte Replik eines Regenwaldes.
Kindler wagte einen Schritt nach vorne, betrat den weichen, feuchten Boden und sah sich um. Er deutete auf die Wand, in der sich die drei Türen zu den Räumen befanden, die sie durchsucht hatten.
»Was ist das hier?«, fragte er dabei. »In diesem Zimmer hat er das Mädchen gefangen gehalten. Und dann? Hat er sie direkt hier in sein Terrarium getrieben? Was hat er hier mit ihr angestellt? Ich kapier das nicht.«
Paul auch nicht. Er machte sich aber um etwas anderes Sorgen.
»Wie lang sind Kegelbahnen?«, fragte Paul.
»Zwanzig, dreißig Meter, ich weiß nicht genau«, antwortete Kindler.
Dreißig Meter lang, fünfzehn Meter breit, schätzte Paul. Jede Menge Platz für Sauter, um sich zu verstecken. Vielleicht beobachtete er sie gerade aus diesem undurchdringlichen Grün heraus. Vielleicht wartete er nur darauf, dass sie es betraten.
Paul bekam ein mulmiges Gefühl.
»Wollen wir da rein?«, fragte er.
»Auf keinen Fall!«, sagte Ziller sofort. »Denk an die Spinnen und die Schlange! Hier könnte alles voller giftiger Tiere sein. Das können wir nicht riskieren.«
Paul nickte. Er sah das genauso. Um diesen künstlichen Regenwald mussten sich später Fachleute kümmern. Sie
würden sich auf das Sichern beschränken. Allerdings waren sie weder der Ergreifung Sauters einen Schritt näher gekommen, noch wussten sie, wo sich der Boxer aufhielt.
Von hinten näherten sich Schritte. Es war Bodo Ziller, und er fiel mit ein in das atemlose Staunen.
Paul, der sich gefangen hatte, fragte: »Was habt ihr in den Zimmern gefunden?«
»In dem Raum, den ich durchsucht habe, steht Geschirr herum, eine Kiste voller Kleidungsstücke, ein benutztes Bett … Ganz sicher hat er das kleine Mädchen darin gefangen gehalten«, antwortete Ziller, ohne den
Weitere Kostenlose Bücher