Blink! - die Macht des Moments
negativen Gefühle, denn nach einer Erkenntnis von John Gottman müssen bei einem Paar, das sich nicht
scheiden lässt, die positiven und die negativen Gefühle im Verhältnis von mindestens 5:1 stehen. Auf einer anderen Ebene suchte
Amber in dieser viertelstündigen Diskussion über den Hund nach einem Muster für die Ehe von Bill und Susan, denn nach einer
der wichtigsten Theorien Gottmans hat jede Ehe ein erkennbares Muster, eine Art Ehe-DNS, die in jeder Interaktion |33| zwischen den beiden Partnern zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grund bittet Gottman jedes Paar, zu erzählen, wie sie sich kennen
gelernt haben, denn er hat festgestellt, dass dieses Muster sofort auftaucht, wenn die beiden Partner vom wichtigsten Ereignis
in ihrer gemeinsamen Beziehung erzählen.
»Es ist ziemlich einfach«, sagt Gottman. »Erst gestern habe ich mir ein Band angesehen, in dem die Frau erzählt: ›Wir haben
uns an einem Ski-Wochenende kennen gelernt. Er war mit einer Gruppe von Freunden da. Er hat mir gleich gefallen, und wir haben
uns verabredet. Aber dann hat er zu viel getrunken und ist wie ein Stein ins Bett gefallen, und ich habe drei Stunden auf
ihn gewartet. Ich bin dann zu ihm aufs Zimmer und hab’ ihn aufgeweckt und zu ihm gesagt: Ich mag es nicht, wenn man mich so
behandelt. Das ist nicht nett von dir. Und er sagte, ja, Mann, ich hab’ echt ›ne Menge getrunken.‹» Schon in der allerersten
Begegnung taucht ein besorgniserregendes Muster auf, und die traurige Wahrheit ist, dass sich dieses Muster wie ein roter
Faden durch die gesamte Beziehung der beiden zieht. Gottman fuhr fort: »Als ich mit den Interviews angefangen habe, habe ich
mich gefragt: Was ist, wenn wir die Leute an einem Scheißtag erwischen? Aber wir haben festgestellt, dass das gar nichts an
unseren Vorhersagen ändert. Wenn Sie die Aufnahme an einem anderen Tag wiederholen, bekommen Sie immer und immer wieder dasselbe
Muster.«
Um besser zu verstehen, was John Gottman mit der Ehe-DNS meint, will ich von einem Phänomen aus der Welt der Morsefunker erzählen,
das man unter Funkern eine Handschrift nennt. Morsezeichen bestehen aus Punkten und Strichen beziehungsweise langen und kurzen
Signalen. Jedes Signal hat eine vorgeschriebene Länge, aber natürlich kann niemand diese Längen immer perfekt einhalten. Wenn
Funker eine Nachricht verschicken, insbesondere wenn sie einen alten Apparat mit Morsetaste verwenden, dann ist bei jedem
die Länge der Punkte, Striche und Zwischenräume anders, und jeder verbindet Punkte, Striche und Zwischenräume auf |34| ganz charakteristische Weise miteinander. Morsen ist wie Sprechen: Jeder Funker hat seine eigene, unverwechselbare Stimme.
Im Zweiten Weltkrieg spielte das Abfangen und die Entschlüsselung von feindlichen Nachrichten eine wichtige Rolle. Die britische
Armee beschäftigte Tausende von Frauen, um Tag und Nacht die Funknachrichten der verschiedenen deutschen Einheiten abzuhören.
Natürlich sendeten die Deutschen verschlüsselte Nachrichten, sodass die Briten zumindest in den ersten Kriegsjahren nicht
verstanden, was gesendet wurde. Das war aber nicht immer notwendig, denn es dauerte gar nicht lange, bis die Frauen allein
vom Zuhören in der Lage waren, die unterschiedlichen Handschriften der deutschen Funker zu erkennen. Damit hatten sie schon
eine ganz wichtige Information: Sie wussten, wer eine Nachricht schickte. »Wenn man lange genug zuhörte, dann konnte man erkennen,
dass eine Einheit vielleicht drei oder vier Funker hatte, die in Schichten eingeteilt waren. Jeder hatte seine ganz speziellen
Eigenheiten«, erzählt Nigel West, ein britischer Militärhistoriker. »Und natürlich gab es vor der eigentlichen Nachricht immer
ein Vorgeplänkel, obwohl privater Austausch streng verboten war. Wie läuft’s bei euch? Was macht die Freundin? Wie ist das
Wetter in München? Das schreiben Sie alles auf eine Karteikarte. Es dauert gar nicht lange, und Sie haben so etwas wie eine
Beziehung zu diesem Funker.«
Die Frauen, die mit dem Abhören der Funknachrichten betraut waren, fanden rasch Beschreibungen für die Handschriften und Eigenheiten
der Funker. Sie gaben ihnen Namen und erstellten ausführliche Persönlichkeitsprofile. Nachdem sie die Person identifiziert
hatten, die eine Nachricht verschickte, orteten sie den Standort des Senders. Damit hatten sie eine weitere Information: Sie
wussten, wer sich wo aufhielt. West erzählt weiter: »Die
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