Blink! - die Macht des Moments
dass
es völlig ausreicht, sich auf vier Gefühle zu konzentrieren, die er die vier apokalyptischen Reiter nennt: Verteidigungshaltung,
Blockade, Kritik und Verachtung. Und unter diesen vier apokalyptischen Reitern sticht wiederum einer ganz besonders hervor:
Verachtung. Wenn Gottman dieses Gefühl bei einem oder beiden Partnern beobachtet, dann weiß er, dass die Ehe auf wackligen
Beinen steht.
»Man sollte meinen, dass Kritik schlimmer ist als alles andere, weil Kritik oft in einen Rundumschlag gegen die Person des
Partners ausartet«, sagt Gottman. »Aber Verachtung hat noch einmal eine ganz andere Qualität als Kritik. Wenn ich meine Frau
kritisiere, dann sage ich ihr vielleicht: ›Du hörst mir nie zu, du bist egoistisch und unsensibel.‹ Darauf wird meine Frau
natürlich reagieren, indem sie eine Verteidigungshaltung einnimmt. Das hilft uns bei der Lösung unseres Problems nicht weiter.
Aber wenn ich gewissermaßen von oben herab spreche, dann ist der Schaden ungleich größer. Und Verachtung kommt immer von oben
herab. Oft ist es eine offene oder versteckte Beleidigung: ›Du bist eine Zicke. Du bist ein Stück Dreck.‹ Damit setze ich
die andere Person herab, sie befindet sich dann auf einer Ebene unter mir.«
Gottman hat herausgefunden, dass man anhand dieses Gefühls der Verachtung in einer Ehe sogar vorhersagen kann, wie häufig
der Mann oder die Frau sich mit einer Erkältungskrankheit infizieren. Mit anderen Worten: Wenn jemand, den ich liebe, dauernd
seine Verachtung mir gegenüber zum Ausdruck bringt, dann sorgt das für eine Stressreaktion in meinem Körper und beeinträchtigt
mein Immunsystem. »Verachtung hat viel mit Ekel zu tun. Mit beiden Gefühlen wird die andere Person vollständig abgelehnt und
aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Es gibt einen großen |40| Unterschied zwischen den Geschlechtern: Frauen sind häufiger kritisch, Männer blocken oft ab. Wir haben festgestellt, dass
Frauen häufig ein Thema anschneiden und Männer sich verärgert abwenden; die Frau wird dann noch kritischer, und schon beginnt
ein Teufelskreis. Aber was Verachtung angeht, gibt es keinen Geschlechterunterschied.« Das heißt, wenn wir Verachtung messen
können, müssen wir eine Beziehung gar nicht mehr bis ins letzte Detail erforschen.
Ich denke, auf diese Weise arbeitet auch unser Unbewusstes. Wenn wir eine spontane Entscheidung treffen oder eine Ahnung haben,
dann geht unser Unbewusstes nicht anders vor als John Gottman: Es überblickt die Situation, in der wir uns befinden, sortiert
alles Unwichtige aus und konzentriert sich absolut auf das Wesentliche. Unser Unbewusstes schneidet eine Situation in dünne
Scheibchen, und darin hat es eine wahre Meisterschaft entwickelt, sodass diese Methode oft zu besseren Ergebnissen führt als
langes Nachdenken und ausführliche Analysen.
Das Geheimnis des Schlafzimmers
Stellen Sie sich vor, Sie sind Personalchef eines Unternehmens und haben eine Stelle ausgeschrieben. Ich habe Ihnen meine
Bewerbung zugeschickt, und Sie haben mich in die engere Wahl genommen. Sie haben sich meinen Lebenslauf angesehen und denken,
dass ich die richtigen Voraussetzungen mitbringe. Aber ehe Sie mir zusagen, wollen Sie sich genauer ansehen, mit wem Sie es
zu tun haben: Passe ich zu Ihrer Firma? Bin ich ehrlich? Arbeite ich effizient? Bin ich offen für neue Ideen? Stellen Sie
sich vor, Sie hätten zwei Möglichkeiten, um das herauszufinden: Entweder treffen wir uns ein Jahr lang zweimal wöchentlich
zum Mittagoder Abendessen, bis wir uns angefreundet und Sie mich in verschiedenen Lebenslagen kennen gelernt haben. Oder Sie
schauen |41| in meiner Wohnung vorbei, während ich nicht da bin, und sehen sich eine halbe Stunde lang um. Welche dieser beiden Möglichkeiten
würden Sie wählen?
Die meisten würden vermutlich die erste Variante wählen: die dicke Scheibe. Je mehr Zeit Sie mit mir verbringen und je mehr
Details Sie von mir wissen, desto besser lernen Sie mich schließlich kennen, oder? Ich hoffe, Sie sehen diesen Glaubenssatz
inzwischen ein bisschen kritischer. Und in der Tat hat der Psychologe Samuel Gosling gezeigt, dass auch in der Beurteilung
von Persönlichkeiten die Methode des Scheibchenschneidens hocheffektiv sein kann.
Gosling begann sein Experiment, indem er 80 seiner Studenten bat, an einem Persönlichkeitstest teilzunehmen. Zu diesem Zweck
benutzte er einen wissenschaftlich anerkannten Fragebogen, das so
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