Blink! - die Macht des Moments
auf alljährlichen Konferenzen die Köpfe heiß reden. Dann aber lösten sich die Belege des Getty Museums
nach und nach in Luft auf. Die Briefe, mit deren Hilfe die Anwälte des Museums die Statue zu dem Schweizer Arzt Lauffenberger
zurückverfolgt hatten, stellten sich als Fälschungen heraus. Einer davon, der auf das Jahr 1952 datiert war, trug eine Postleitzahl,
die erst mit einer Postreform 20 Jahre später eingeführt wurde. In einem weiteren Schreiben, das vorgeblich aus dem Jahr 1955
stammte, wurde ein Bankkonto erwähnt, das erst im Jahr 1963 eröffnet wurde. Auch die kunsthistorische Argumentation begann,
zu Staub zu zerfallen. Nach monatelangen Untersuchungen waren die Experten des Museums zu dem Schluss gekommen, dass die Statue
stilistische Ähnlichkeiten mit dem Kouros von Anavyssos aufwies. Doch je genauer die Kunsthistoriker sich die Plastik ansahen,
desto mehr erschien sie ihnen wie eine kuriose Mixtur aus allen möglichen Stilen der verschiedensten Zeiten und Regionen.
Mit seiner schlanken Gestalt ähnelte er dem Kouros von Tenea, der in der Glyptothek in München zu sehen ist; sein stilisiertes,
geflochtenes |14| Haar erinnerte an die Frisur der Jünglingsstatue im Metropolitan Museum in New York; die Füße dagegen sahen aus wie die einer
modernen Plastik. Am meisten ähnelte der Getty-Kouros allerdings einer kleineren, bruchstückhaft erhaltenen Figur, die ein
britischer Kunsthistoriker 1990 in der Schweiz entdeckt hatte. Die beiden waren aus demselben Marmor und in ganz ähnlicher
Weise gearbeitet. Der Schweizer Kouros stammte jedoch nicht aus dem Griechenland des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts,
sondern aus einer Fälscherwerkstatt aus dem Rom der achtziger Jahre. Aber was war mit der Aussage des Geologen Stanley Margolis,
die Kalzitschicht auf der Oberfläche des Getty-Kouros weise auf ein Alter von Hunderten, wenn nicht Tausenden Jahren hin?
Es stellte sich heraus, dass auch dies noch nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen war. Ein anderer Geologe fand nämlich
nach weiteren Untersuchungen heraus, dass es durchaus möglich ist, die Oberfläche des Marmors mithilfe eines Kartoffelschimmels
innerhalb weniger Monate künstlich altern zu lassen. Im Katalog des Getty Museums findet sich bis heute ein Foto des Kouros
mit der Bildunterschrift »Zirka 530 vor Christus oder moderne Fälschung.«
Es stellt sich also heraus, dass Federico Zeri, Evelyn Harrison, Thomas Hoving, Georgios Dontas und die zahlreichen anderen
Experten Recht hatten, als sie bei der Betrachtung des Kouros eine »intuitive Abneigung« empfunden hatten. Auf den ersten
Blick, innerhalb von zwei Sekunden, wussten sie mehr über das Wesen der Statue als ein Team des Getty Museums nach vierzehnmonatigen
Untersuchungen.
In
Blink!
geht es um diese ersten beiden Sekunden.
Schnell und einfach
Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem ganz einfachen Glücksspiel teil. Vor Ihnen liegen vier Stapel mit Spielkarten, zwei
rote |15| und zwei blaue. Mit jeder Karte können Sie entweder eine bestimmte Summe Geldes gewinnen oder verlieren. Sie sollen nun Karten
von Stapeln Ihrer Wahl umdrehen und versuchen, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Was Sie jedoch nicht wissen: Die roten
Karten sind ein Wespennest. Die Gewinne sind zwar hoch, doch wenn Sie verlieren, dann büßen Sie auf einen Schlag eine große
Summe ein. Langfristig können Sie nur Erfolg haben, wenn Sie Karten von den blauen Stapeln nehmen, wo sich die Gewinne zwar
vergleichsweise bescheiden ausnehmen, wo sich aber vor allem die Verluste in Grenzen halten. Die Frage ist: Wie viel Zeit
werden Sie benötigen, um das herauszufinden?
Dieses Experiment wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Iowa durchgeführt. Dabei stellte sich heraus,
dass es den meisten von uns nach rund 50 Karten zu dämmern beginnt, wie der Hase läuft. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir zwar
noch nicht genau, warum wir die blauen Karten bevorzugen, aber wir haben eine unbestimmte Ahnung, dass wir mit diesen beiden
Stapeln besser fahren. Nach 80 Karten haben wir das Spiel durchschaut und können erklären, warum wir besser die Finger vom
roten Stapel lassen. So weit, so gut. Wir haben Erfahrungen gesammelt, wir haben eine Theorie entwickelt und schließlich zählen
wir eins und eins zusammen. Im Grunde läuft jeder Lernprozess so oder so ähnlich ab.
Doch die Wissenschaftler der Universität Iowa beließen es nicht
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