Blitz der Hengst des Sonnengottes
Rennverpflichtungen hätte, dann könnten er und Blitz vielleicht zusammen fort, und sei es nur für ein paar Tage.
Plötzlich zog der Hengst den Kopf aus Alecs Armen, spitzte die kleinen Ohren und lauschte. Dann schickte er ein lautes Wiehern zu den Stuten hinüber, die er draußen hörte, und ging zum Fenster zurück. Pechschwarz hob sich seine Gestalt gegen das goldene Licht der Sonne ab. Blitz wurde immer aufgeregter und stieß einen schrillen Ton aus, fast wie ein Pfeifen, der deutlich für die Stuten bestimmt war, die er zwar nicht sehen, aber um so besser wittern konnte. Dann verlagerte er sein Gewicht auf die Hinterhand, richtete sich auf und keilte derart aus, daß er Alec fast umgerissen hätte.
Alec verließ die Box. Er konnte Blitz nicht von den Stuten ablenken. »Sei brav«, sagte er, »bald komme ich zurück, und dann werden wir es irgendwie schaffen, zusammen auszureißen, und sei es nur für ein paar Tage.«
Draußen vor dem Stall auf der Zufahrt mußte er sich durch den tiefen Schnee kämpfen. Er wollte die Post holen, bevor er zum Kennedy Flugplatz nach New York City aufbrach. Vielleicht war da noch ein Brief von Pam. Seine Flugkarte lag im Büro, und dort stand auch seine fertig gepackte Tasche. Er hatte sich schon von allen verabschiedet, und für eine Weile würde ihn niemand vermissen.
Noch einmal schaute er zu den Zuchtstuten auf der andern Seite des Gatters hinüber. Sie lauschten auf die Rufe des Hengstes. So war das Leben, dachte Alec, einer brauchte den andern. Auch die Menschen brauchten einander, wenn sie ihr seelisches Gleichgewicht nicht verlieren wollten.
»O Pam, bald werden wir beieinander sein«, sagte er laut.
Er holte mehrere Briefe und die New York Times aus dem Briefkasten. Von Pam war nichts dabei, nur Rechnungen für die Farm. Im Gehen öffnete er die Zeitung, um den Wetterbericht zu lesen. Für den Nachmittag war Schnee angesagt, aber wenn er früh genug abfuhr, würde er sicher rechtzeitig am Flugplatz sein.
Sein Blick fiel auf eine Notiz rechts unten auf der Titelseite. Die Überschrift »Paris, Frankreich« zog ihn an. Dann las er:
Vier Studenten bei einem Autounfall in den Alpen getötet
Eines der Opfer ist Amerikanerin
Paris, Frankreich, den 15. Dezember: Vier Schüler der berühmten Phillipe de Pluminel Reitschule kamen 32 Kilometer von der österreichischen Gebirgsstadt Kufstein entfernt bei einem Autounfall ums Leben. Die jungen Leute, Pam Athena, Denise Hermes, Simone Hachette und Claudette Bradley gerieten mit ihrem Volkswagen auf der höchsten Alpenstraße ins Schleudern und stürzten in einen Abgrund. Alle Verunglückten sind Franzosen bis auf Pam Athena, einer Amerikanerin aus Venice, Florida. Die vier jungen Mädchen waren auf dem Weg nach Wien, wo sie eine Vorführung der Lipizzaner in der Spanischen Reitschule besuchen wollten.
Die Zeitung fiel in den Schnee. Einen Augenblick stand Alec bewegungslos da, fühlte nichts und sah nichts. Dann stieg von irgendwo tief in seinem Innern ein Schrei auf und zerriß mit seinem Schmerz die Stille des Wintertages. Immer weiter schreiend sank Alec vornüber und tastete nach dem Zaun, um sich zu stützen. Er taumelte gegen die Bretter und stammelte die Worte: »Pam, du kannst doch gar nicht tot sein! Das lasse ich nicht zu!«
Nur die Stuten auf der Weide hörten ihn. Erschrocken wandten sie ihre feinen Köpfe in Alecs Richtung. Dann stimmte ihr kurzes, beunruhigtes Wiehern in sein Schluchzen ein.
FÜNFTES KAPITEL
Die Trauer
Alec lehnte immer noch schwer am Zaun, erstarrt wie eine Statue. Wieder und wieder versuchte er, Pams Namen herauszuschreien, aber nur Röcheln und ein weißer, eiskalter Lufthauch drangen aus seiner Kehle. Sobald er schwieg, hämmerte die Stille in seinen Ohren, und sein Kopf pochte.
»Sie... hätte... niemals... wegfahren sollen«, brachte er mit einem furchtbaren Krächzen heraus, »ich .. ich liebte... sie so sehr... so sehr!«
Tränen drangen in seine Augen. Er schluchzte hilflos mit bebenden Lippen und verzerrtem Gesicht. Niemand würde ihm helfen können, denn niemand konnte ihm Pam zurückbringen. Langsam löste Alec seine Hände vom Zaun und wandte sich dem Stall zu. Wie blind taumelte er vorwärts, stolperte über seine Füße und brach schließlich mit kreideweißem Gesicht und Augen, die so blicklos wie im Tod waren, im Schnee zusammen, wo er reglos liegenblieb.
Sein Schmerz über den Verlust von Pam schien in seinem Verstand etwas verrückt zu haben, etwas, das durch den
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