Blitze des Bösen
willen,
Kraven, sagen Sie es mir doch wenigstens jetzt, wo alles bald
vorüber ist.«
Sein Blick ruhte fest auf ihr, doch als er wieder sprach,
strafte seine Stimme den festen Blick Lügen. »Wie kann ich
Ihnen etwas sagen, das ich gar nicht weiß?« fragte er im Ton
eines unschuldigen Kindes.
Trotz ihres hitzigen Zorns war ihr eiskalt. »Warum wollten
Sie mich treffen?« fragte sie. »Was können Sie mir noch zu
sagen haben?«
Richard Kaven lächelte wieder, diesmal war es aber kein
gewinnendes Lächeln. Er fixierte sie mit seinen kalten Augen,
und hinter dem Grinsen glaubte Anne, den Teufel erkennen zu
können, der er wirklich war. »Heute hört nichts auf. Auch
wenn man mich tötet nicht«, kam es ihm hart über die Lippen.
»Das wollte ich Ihnen sagen, Anne. Wie werden Sie sich dann
fühlen? Wenn ich erst mal tot bin, und alles von neuem beginnt
– wie werden Sie sich dann fühlen?« Plötzlich lachte er. Es war
ein fast heiteres Lachen, das im Zellenblock widerhallte und in
ihren Ohren nachklang. »Sie wollten doch immer wissen, ob
ich etwas bereue. Ja, ich bereue es, daß ich Sie nicht leiden
sehen kann, wenn Sie herausgefunden haben, daß Sie sich in
mir getäuscht haben.« Seine Augen bohrten sich in die ihren,
und er hob seine Stimme: »Es wird alles wieder von vorn
anfangen, Anne. Wer immer auch diese Leute umgebracht hat,
er wartet nur darauf, bis ich tot bin. Dann legt er wieder los.«
Als Kraven lauter sprach, wich Anne einen Schritt zurück,
drehte sich um und ging schnell Richtung Ausgang. Aber auch
als der Wächter ihr die Tür öffnete, hallten die Worte des
Mörders noch in ihren Ohren. »Was werden Sie tun?« brüllte
er ihr nach. »Wer wird Ihnen vergeben, wenn Sie erst einmal
herausgefunden haben, daß Sie im Unrecht waren?« Sein
Gebrüll wurde von den Zellenwänden zurückgeworfen und
steigerte sich dadurch noch. »Eines bereue ich wirklich,
Anne!« schrie er ihr hinterher. »Daß ich Ihnen beim Sterben
nicht genauso zuschauen kann wie Sie mir!«
Anne ging durch den Flur und lehnte sich gegen die Wand,
als der Wärter die schwere Eisentür schloß. Sie hatte nur den
einen Wunsch: ihr Inneres vor Kravens Worten genauso verschließen zu können, wie der Wärter ihm durch das Verriegeln
die Stimme abschnitt.
Sie raffte sich wieder auf und ging zu Wendell Rustins Büro
zurück, wobei sie automatisch auf die Uhr schaute.
Halb zwölf.
Noch eine halbe Stunde, dann wäre es endgültig vorbei.
In Gedanken legte sie sich bereits die ersten Worte des
Artikels zurecht, den sie über Kravens Hinrichtung schreiben
wollte. Aber schon während sie sich die Überschrift ausdachte,
fielen ihr Kravens Worte wieder ein, mischten sich mit ihren
eigenen, so sehr sie sich auch dagegen sträubte. Und sie
wünschte sich, daß dieser Tag endlich vorüber wäre, daß sie
weit weg vom Gefängnis, von Connecticut, weg von Kraven
wäre.
Sie wollte dringend nach Hause, nach Seattle zu Glen.
Der tröstliche Gedanke an ihren Mann verschaffte ihr die
Kraft, sich wieder auf den Artikel zu konzentrieren, den sie
nach Kravens Tod verfassen wollte. Danach wäre der Alptraum
endgültig zu Ende.
4. Kapitel
Mit einem Ruck hielt der Aufzug an der Spitze des Jeffers
Buildings. Einen Sekundenbruchteil lang war Glen sicher, daß
der Käfig, in den er gesperrt war, abstürzte und mit ihnen
vierzig Stockwerke tiefer auf dem Beton zerschellen würde. In
diesem Moment waren das seltsame Prickeln in seinem linken
Arm und die Übelkeit verschwunden. In der nächsten Sekunde
jedoch, als Jim Dover die Aufzugstür öffnete und auf die
Holzplattform hinausstieg, die ihm wie freischwebend in der
Luft vorkam, stürmten wieder alle mit der Höhenangst
verbundenen Schrecken auf Glen ein.
Er wappnete sich gegen die unerklärliche Furcht, die ihn zu
ergreifen drohte und versuchte, sich zum wiederholten Mal
einzureden, daß seine Panik übertrieben sei. Schließlich war
dieses Gebäude eines der am besten konstruierten in der
ganzen Stadt, und – von unvorhersehbaren Katastrophen einmal abgesehen – war nicht im mindesten damit zu rechnen, daß
der Aufzugsschacht abstürzen oder die Stützbalken
zusammenbrechen würden. Er und George Simmons hatten
sich unzählige Male darüber unterhalten, und der Ingenieur
hatte stets behauptet, die Konstruktion sei mehr als sicher. Als
er jetzt aber wieder an die technischen Angaben dachte, wurden sämtliche Faktoren, alle Koeffizienten der
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