Blitze des Bösen
gehört haben? Von all den Leuten, die ihre
Sterbeerlebnisse geschildert haben? Die hören sich alle gleich
an, Mark. Sie haben ihren Körper verlassen und sind darüber
geschwebt. Sie konnten sehen, was passiert und hören, was die
Leute reden. Manche von ihnen haben gefühlt, daß sie die
Wahl hatten, zurückzukommen oder nicht…«
Ihre Stimme verlor sich, doch Mark wußte schon, worauf sie
hinauswollte. »Wenn Richard Kraven im selben Moment starb
und im schlimmsten Fall wieder zurückkommen wollte…«
»Er hat mich gehaßt!« brach es aus Anne heraus. »Ich konnte es ihm von den Augen ablesen, in seiner Stimme hören.« Sie
berichtete Mark, wie sie die Puzzleteile aus den alten
Interviews zusammengefügt hatte und wie letzten Endes alles
doch einen Sinn ergab. »Er unterschied sich von allen anderen
Serienmördern. Er hat nicht getötet, weil er wollte, daß seine
Opfer wirklich sterben. Er versuchte herauszubekommen, wie
er sie nach ihrem Tod wieder zum Leben erwecken konnte.«
»Das trifft aber nicht auf den Fall von Rory und Edna zu«,
entgegnete Mark.
»Er wollte Rory bestrafen. Und ich vermute, seine Mutter
hat er ganz einfach gehaßt. Übrigens haben sich seine Motive
inzwischen geändert. Er hat seine Experimente abgeschlossen.
Jetzt ist er mit mir quitt.« Sie sah, wie der Sturm draußen tobte,
als sie die Autobahn verließen und durch Redmond fuhren. Sie
folgten genau der Route, die Kevin beschrieben hatte. »O
Gott!« seufzte Anne. »Warum können Sie ihn nicht finden?«
»Sie werden ihn finden«, antwortete der Kommissar. »Oder wir werden es. So oder so – wir bekommen Heather wieder.«
Doch als er die Worte aussprach, war Mark nicht sicher, ob sie
ihm glaubte. Er war aber sicher, daß er die sonderbare
Geschichte, die Anne ihm erzählt hatte, nicht glaubte.
Wenigstens redete er sich das ein.
67. Kapitel
Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel gegen die Windschutzscheibe des Wohnmobils und draußen war fast nichts
mehr zu erkennen. Alles was Heather noch ausmachen konnte,
waren die schwankenden Lichter entgegenkommender
Fahrzeuge, aber sie wurden immer seltener. Es war, als ob die
Nacht und der Sturm sich miteinander verbündet hätten, alle
außer ihnen von der Straße zu jagen. Je weiter sie sich von zu
Hause entfernten, desto größer wurde Heathers Angst.
»Könnten wir nicht mal anhalten?« fragte sie flehend. »Bitte?«
Richard Kraven wandte seine Augen nur so kurz von der
Straße ab, um Heather Jeffers einen flüchtigen Blick zuwerfen
zu können. Ihre Züge waren kaum erkennbar, doch als ein
Lastwagen entgegenkam, erhellten seine Scheinwerfer ihr
Gesicht eine Sekunde lang.
Kraven hatte genug gesehen. Der Schrecken in dem Gesicht
des Mädchens war unverkennbar. Er wandte seine
Aufmerksamkeit wieder der Straße zu und ergötzte sich an der
Angst, die er ihr eingeflößt hatte.
Sie wußte, daß etwas nicht stimmte, daß sie in Gefahr war.
Aber was sie nicht wußte, war, welche Gefahren ihr noch
bevorstanden. Diese Unsicherheit – und die Angst, die in
Heather dadurch zusätzlich geweckt wurde – ließen Richard
Kraven den Augenblick noch mehr genießen. Er bedauerte nur,
daß Anne das nicht miterleben konnte.
Könnte er doch nur mit ihr sprechen, ihr sagen, was er mit
ihrer Tochter vorhatte!
Könnte er doch nur Annes Gesicht sehen, wenn er erst vorsichtig Heathers Brustkorb öffnete und ihr Herz bloßlegte.
Könnte er Anne doch nur schreien hören, wenn er Heathers
klopfendes Herz in seiner Hand hielt, könnte er nur ihre
dringlichen Bitten hören, wenn er dann langsam das Herz
zerdrückte.
Wenn er doch nur Zeuge ihres Schmerzes und ihrer Hilflosigkeit sein könnte – er würde es ebenso genießen, wie sie es
genossen hatte, als man ihn gehetzt, zur Strecke gebracht, in
eine Zelle eingesperrt und hingerichtet hatte. Natürlich hatte er
ihr nicht gezeigt, wie sehr er litt. Er hatte seine Furcht vor der
Zelle ebenso verborgen wie die vor dem elektrischen Stuhl.
Doch obgleich er seine Ängste versteckt hatte, wußte er, daß
sie sie gespürt hatte, daß sie eine Genugtuung für sie gewesen
waren.
Heute nacht sollte sie dafür ihre Strafe erhalten. Eine Strafe,
die ihr restliches Leben überschatten würde.
Blitze flammten am Himmel auf, unmittelbar gefolgt von
Donner, der das Wohnmobil erschütterte. Richard Kraven war
freudig erregt, als ein schwacher Angstschrei aus Heather
Jeffers Mund drang.
»Bitte«, flehte sie wieder.
Weitere Kostenlose Bücher