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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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»Siehst du, wir ernähren Hitler mit unserem Brot, und nun wendet er sich gegen uns!« J.E. Batmanowa erklärte, sie habe gehört, dass Hanko [ein sowjetischer Marinestützpunkt westlich von Helsinki] von den Deutschen erobert worden sei. Anwesende Parteimitglieder wiesen sie streng zurecht und ließen andere Genossen wissen, dass solche Aussagen schädlich und im Interesse feindlicher Elemente seien.
    Am folgenden Tag verschob »Kantinendirektor Genosse Solowjow das Mittagessen … infolge von Lieferungsproblemen. Unter den Wartenden hörte man folgenden Kommentar: ›Es ist erst der zweite Kriegstag, und schon gibt es kein Brot. Wenn der Krieg ein Jahr dauert, werden wir alle verhungern.‹« 2
    Doch das überwältigende Gefühl der Öffentlichkeit in den ersten Kriegstagen war aufrichtiger Patriotismus. Noch bevor die Befehle zur Generalmobilmachung am 27. Juni ergingen, bildeten sich Schlangen von potenziellen Freiwilligen vor lokalen Parteibüros, Rekrutierungszentren und Fabrikhauptquartieren. Insgesamt meldeten sich rund 100000 Leningrader in den ersten vierundzwanzig Kriegsstunden freiwillig, lange bevor die Bürokratie sie einberufen konnte. 3 Am Donnerstag, dem 26. Juni, konnten die Kirow-Werke bekanntgeben, dass es über neunhundert Anträge für den Eintritt in die Arbeitermiliz und hundertzehn Anträge für die Parteimitgliedschaft erhalten hatte. Im Kreisrekrutierungsamt waren über tausend Gesuche, von Frauen wie von Männern, eingegangen, die an die Front geschickt werden wollten. 4 Am Tag der Kriegserklärung begab sich der achtjährige Igor Krugljakow zusammen mit seinem Vater und seinen Onkeln zum Karl-Bulla-Fotostudio am Newski-Prospekt, um ein Familienporträt anfertigen zu lassen. Am folgenden Tag, erinnert er sich, »fuhren wir hinüber zur Petrograder Seite, um meinen Vater zum Militärkommissariat zu begleiten. Der Hof dieses wojenkomat war an allen Seiten von Gebäuden umgeben. An einem kleinen Kontrollpunkt wurde er rasch irgendwie registriert. Er brach noch am selben Abend auf.« 5
    In den folgenden Wochen hielten Parteiarbeiter in hohem Maße inszenierte, doch gleichwohl halb freiwillige Kampagnen ab, um Verteidigungsmittel aufzubringen. In den Kirow-Werken baten ältere »Arbeitsveteranen« ihre Kollegen, Schmuck, Geld, Anleihen und andere Wertsachen sowie einen oder mehrere Tageslöhne zu spenden. Man steuerte so viele Spenden bei, dass die Fabrikkassierer die Menschen bald aufforderten, alle Beiträge direkt zu den Banken zu bringen. Es dürfte schwierig gewesen sein, auf einer öffentlichen Versammlung die Empfehlung der Partei zum Lohnverzicht auszuschlagen, aber der Historiker Andrej Dseniskewitsch – einer der Ersten, die die Leningrader Kriegsarchive in der neuen Freiheit der frühen neunziger Jahre nutzten – hebt hervor, dass nur echte Anteilnahme jemanden veranlasst haben könnte, »goldene Ohrringe oder einen einzelnen Silberlöffel, von deren Existenz niemand etwas ahnte, zu spenden«. 6
    Diese Welle der patriotischen Freiwilligkeit erfasste auch die Intelligenzija der Stadt, jene Gesellschaftsgruppe, die, abgesehen von Offizieren und hohen Parteifunktionären, von den Repressionen der vergangenen fünf Jahre am schwersten getroffen worden war und deshalb gute Gründe hatte, die Regierung zu hassen. Der Kontext war ein ganz anderer, doch der Tatendrang zumindest bei jungen Menschen glich demjenigen, der Englands chauvinistisch gestimmte Schuljungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs in die Schützengräben getrieben hatte. »Grüß Dich, Irina!«, schrieb ein Achtzehnjähriger seiner Freundin im Juni:
    Ich werde zum Augenzeugen eines ungewöhnlichen und sehr bedeutsamen Geschehens – ich fahre an die Front! Du weißt, was das bedeutet? O nein, du weißt es nicht.
    Es ist die Prüfung meiner selbst, meiner Ansichten, Neigungen und Eigenschaften. Und vielleicht werde ich – so paradox es klingt – die Musik Beethovens, das Genie Lermontows und Puschkins besser begreifen, wenn ich im Krieg war.
    Na, zum Schreiben fehlt mir die Zeit. Aber jetzt fühle ich mich Dir überlegen. Ich bekomme die Möglichkeit, in den Strudel des Lebens einzutauchen. Du aber, Bedauernswerte, bist dazu verdonnert, Scholastik zu pauken.
    Mit der »Scholastik« hab’ ich mich doch nicht im Ton vergriffen? Na, schadet nichts. Vielleicht treffen wir uns ja mal, oder?
    Ich drücke Dir fest, ganz fest die Hände.
    Oleg 7
    Ältere Russen, für die die Sowjetunion ein fremdes und feindliches Land war,

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