Blood and Chocolate - Curtis Klause, A: Blood and Chocolate - Blood and Chocolate
hatte gewirkt. »Jetzt liegt es an dir«, hatte sie gesagt. Mit anderen Worten, es war zwecklos. Immer wieder hatte Vivian die Muskeln angespannt und versucht, sich in die eine oder andere Richtung zu verwandeln, doch sie war wie ein verrostetes Schloss, das klemmte – egal, wie heftig sie drehte, der Schlüssel bewegte sich weder vorwärts noch rückwärts. Der nächste Vollmond war verstrichen, ohne dass sich etwas geändert hätte – unveränderlich, unverwandelbar, erstarrt.
Es ist alles meine Schuld , dachte sie, während sie sich unsanft mit einem bepelzten Unterarm über die Stirn wischte, wobei sie die Ärmel ihres weiten Seidenmorgenrocks hochschob. Ich habe versucht zu sein, was ich nicht bin, und jetzt kann ich noch nicht einmal das sein, was ich sein sollte. Ich bin ein Freak.
Auf einmal von Wut gepackt, ließ sie die Farbe in hohem Bogen spritzen. »Ein Freak! Ein Freak! Ein Freak!«, schrie sie. Und wegen ihr war ein unschuldiger Junge gestorben.
Die Zeitungen hatten Peter Quincey bereits vergessen, aber Streifenwagen patrouillierten immer noch dreimal so häufig wie sonst durch das Viertel, besorgte Bürgerinitiativen trafen sich in der Highschool, und Jugendlichen wurde eingeschärft, sich nach elf Uhr nachts nicht mehr draußen aufzuhalten. Niemand konnte mit Sicherheit ausschließen, dass demnächst nicht ein Detective vor der Tür stünde. Das ganze Rudel war erleichtert, dass Gabriel den Kauf eines Grundstücks in Vermont gebilligt hatte. Zu dem Besitz gehörten ein Gasthof und Land gleich neben dem Green Mountain National Forest. Sie konnten wieder einen Familienbetrieb führen und wären abgeschieden genug, um frei rennen zu können. In etwa einer Woche würde Gabriel dorthin fahren, um die Papiere zu unterzeichnen. Sie konnten Pläne schmieden. Sie konnten an ihre Zukunft denken.
»Die Zukunft.« Vivian spuckte zwischen ihren Reißzähnen aus, und der Auswurf vermischte sich mit der Farbe an der Wand. Welche Zukunft hatte sie schon? Ich
werde nicht mitgehen , entschied sie. Wie lange würde das Rudel sie gütig behandeln? Was wäre sie schon, abgesehen von einer hässlichen Erinnerung an ihre Zeit in der Vorstadt? Und wie konnte sie es ertragen, so zu tun, als führte sie ein normales Leben, wenn sie nie wieder mit dem Rudel rennen könnte? Sie gehörte in eine Freakshow, doch sie würde hierbleiben, in diesem Zimmer, versteckt.
Draußen erklang ein Scharren, und eines ihrer behaarten Ohren stellte sich in Richtung des Fensters. Zur Hölle mit ihnen , dachte sie. Willem und die anderen hatten viele Nächte auf dem Verandadach vor ihrem Fenster verbracht. Sie weigerten sich, sie in Ruhe zu lassen. »Wir sind immer noch die Fünf, Vivie«, hatte Willem gesagt. »Ja, du gehörst zu uns«, hatte Finn ihm beigepflichtet. Wenn die Nacht kühler gewesen wäre, hätte sie das Fenster zumachen und sie ignorieren können, doch sie hatte keine Lust zu ersticken, bloß um ihnen eins auszuwischen.
Sie zog ihren Morgenrock eng um sich und ging zum Fenster, so aufrecht, wie ihre Wirbelsäule es zuließ. Tatsächlich kamen Willem, Gregory und Ulf auf das Dach geklettert. Finn ließ sich mit einem leisen Aufprall von den Ästen einer Eiche fallen. Hinter ihnen blitzte Wetterleuchten am purpurnen Himmel auf und überflutete die Sterne. Wie gewöhnlich waren die Jungs nackt und zur Hälfte verwandelt. »Das ist der letzte Schrei«, hatte Willem gesagt, als sie sich einmal beschwert hatte. »Die besten Leute tragen es.« Wieder einmal dankte sie dem unbekannten
Landschaftsgärtner, der Bäume angepflanzt hatte, die das Dach sowohl vor der Sonne als auch vor neugierigen Blicken schützten.
»Wir haben noch eins für dich«, sagte Willem.
Vivian schnaubte verächtlich. Sie durchforsteten alle Musiksammlungen, derer sie habhaft werden konnten, auf der Suche nach Werwolf-Songs. Um sie zu inspirieren, behauptete Finn, obwohl sie den Verdacht hegte, dass es zu seinem eigenen Vergnügen geschah. Am vergangenen Abend hatten sie »Moon over Bourbon Street« von jemandem namens Sting vorgetragen. Es hatte schrecklich geklungen. Den Abend davor hatte Esmé während ihrer Vorführung von »Werewolves in London« gedroht, den Gartenschlauch auf sie zu richten, wenn sie nur zu lachen aufhören könnte.
Esmé war viel zu glücklich, seitdem Tomas bei ihnen eingezogen war. Vivian hatte versucht, es zu verderben, indem sie darauf hinwies, wie er weggelaufen war, als die Polizei bei ihnen klingelte. Esmé hatte nur
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