Die Nacht trägt dein Gesicht
Eins
Die Hand kam wie aus dem Nichts und schlug zu, dass ihr Kopf rückwärts gegen die Wand krachte und sie für einen Moment nur Sterne sah. Der nächste Schlag traf ihre Wange, die daraufhin anschwoll, als wäre sie ein Kugelfisch. Ja, wenn sie ein Fisch wäre, könnte sie einfach davonschwimmen, sich im großen Ozean verstecken, und er hätte keine Möglichkeit, sie je zu finden.
Rums, der nächste Schlag, der ihre Unterlippe aufplatzen ließ . Blut spritzte gegen die Wand. Kleine Stippen verteilten sich auf der Seidentapete. Wie Treppenstufen, die in einem Bogen nach oben führten. Auf all diese Einzelheiten konzentrierte sich Gemma, nur um keinen Laut von sich zu geben oder sich zu wehren, damit er nicht noch wütender wurde. Aber konnte er das überhaupt noch? War seine Wut auf sie nicht schon jetzt grenzenlos?
»Warum hast du die Produzenten nicht dazu gebracht, dass ich den Titelsong deines nächsten Films singe? Ich habe dich um einen kleinen Gefallen gebeten, mehr nicht. Einen einzigen kleinen Gefallen! Das wäre doch für dich möglich gewesen, wenn du es wirklich gewollt hättest. Aber ich nehme mal an, du wolltest gar nicht, dass dein Ehemann endlich den großen Durchbruch schafft. Du willst den ganzen Ruhm für dich allein!«
Als Gemma ein Schlag in die Rippe traf, schrie sie laut auf. Zwar hörte es sich nicht so an, als wäre eine gebrochen, – sie kannte sich damit aus, denn bei Dreharbeiten hatte sie sich im letzten Herbst erst eine Rippe gebrochen –, doch der Schmerz war unerträglich. Sie taumelte, fiel der Länge nach hin und verlor das Bewusstsein.
Zumindest für ein paar Minuten, denn als sie wieder die Augen aufschlug, sah sie, dass Theo k.o. auf dem Boden neben ihr lag, seine Nase seltsam schief im Gesicht.
***
Jon Osborne lief auf dem Flur des Hotels seine übliche Route ab und kontrollierte die Nebenzimmer sowie alle Gänge, ob sich auch niemand unbefugt Zutritt verschafft hatte. Als er die Türen des Privataufzugs checkte, hörte er einen dumpfen Knall, dazwischen lautes Geschrei. Er schloss die Augen – nicht schon wieder. Ihm war klar, was da in der Hotelsuite abging. Normalerweise schrie Mrs Hunter immer zurück, doch diesmal drang nur die Stimme ihres verrückten Ehemanns zu ihm durch. Da stimmte doch etwas nicht!
Ohne auf die Anweisung zu achten, die Theo Carter ihm diktiert hatte, betrat er mit raschen Schritten die S uite. Mrs Hunter war seine Auftraggeberin, nicht ihr Ehemann, der mal wieder wie auf Drogen schien.
Jon fand Theo Carter über Mrs Hunter gebeugt vor, die auf dem Bogen lag und keinen Ton mehr von sich gab. Hoffentlich war sie noch am Leben. Dieser verfluchte Theo. Wut packte Jon und ließ ihn nach Carter greifen, der versuchte sich zu wehren. Doch gegen einen Kampfsportler wie Jon hatte er keine Chance. Ein Faustschlag in das Gesicht des Musikers und ein Heber reichten aus, um Carter außer Gefecht zu setzen.
***
Gemma blinzelte und sah in das Gesicht von Jon Osborne, ihrem Bodyguard. Er hielt ein Eispack in der Hand und kühlte damit ihre Wange.
»Mrs Hunter, Sie müssen in ein Krankenhaus. Kommen Sie, ich fahre Sie hin.«
Osborne half ihr auf die Beine, doch sie konnte sich nicht halten und sackte wieder in sich zusammen. Kurzerhand nahm er sie auf die Arme und trug sie zum Lastenaufzug.
»Bitte Jon, ... nicht in ein Krankenhaus bringen. Die informieren die Polizei oder ... die Presse ... diese Art von negativer Publicity ... kann ich mir nicht leisten«, flüsterte Gemma, während sie in die Tiefgarage fuhren.
Als Jon sie in den Fond des Geländewagens mit dem getönten Sicherheitsglas setzte, sagte er mit ruhiger Stimme: »Legen Sie sich hin, Mrs Hunter. Dann wird Sie niemand im Auto vermuten.«
»Bitte, nicht ins Krankenhaus.«
Osborne schien eine Minute nachzudenken, schaute auf sie hinunter, dann nickte er: »Gut, keine Krankenhäuser, aber ich bringe Sie außer Reichweite dieses durchgedrehten Mistkerls«, knurrte er, legte das Eispack auf ihre Wange und schloss sorgsam die Autotür. Dann setzte er sich hinter das Lenkrad und lenkte den Wagen mit langsamem Tempo aus der Tiefgarage des Hotels in den dichten Straßenverkehr Manhattans.
***
Er hatte kein Aufsehen erregen wollen, deshalb fuhr er vorschriftsmäßig, solange er im Stadtgebiet von New York unterwegs war. Doch sobald er auf die Interstate 95 bog, gab er Gas und fuhr mit allem, was der Motor des Geländewagens hergab, in östliche Richtung.
Jon hoffte nur, dass Gemma
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