Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
nie getan hatte. Ein Teil von mir dachte, dass sich die Aufgabe, wenn ich sie unbearbeitet ließe, in Luft auflösen oder dass Ms Terwilliger ihre Meinung ändern würde. Außerdem hatte ich eine Woche Zeit. Kein Grund, deswegen jetzt schon Stress zu machen.
Obwohl ich wusste, dass wir Lia für die Kostüme nichts schuldig waren, hatte ich trotzdem das Gefühl, dass es richtig wäre, sie ihr zurückzugeben – nur damit kein Zweifel an meinen Absichten bestehen konnte. Sobald mich Ms Terwilliger gehen ließ, packte ich mein Kostüm und das von Jill in die Kleidersäcke und machte mich auf den Weg ins Stadtzentrum. Zwar war Jill traurig, ihres herzugeben, räumte aber ein, dass es richtig so war.
Lia sah das jedoch anders.
»Was soll ich mit diesen Kleidern?«, fragte sie, als ich in ihrem Geschäft auftauchte. Sie trug Ohrringe mit großen Rheinkieseln, ein Anblick, der einen ganz benommen machte. »Die sind für Sie beide maßgeschneidert.«
»Sie können sie ändern, da bin ich mir sicher. Und ich bin mir außerdem sicher, dass sie ohnehin nicht weit von Ihren Probegrößen entfernt sind.« Ich hielt ihr die Kleiderbügel hin, aber halsstarrig verschränkte Lia die Arme vor der Brust. »Hören Sie, die Kleider waren großartig. Wir wissen wirklich zu schätzen, was Sie getan haben. Aber wir können sie nicht behalten.«
»Sie werden sie behalten«, stellte sie fest.
»Wenn Sie sie nicht zurücknehmen, lasse ich sie einfach auf der Theke liegen!«, warnte ich sie.
»Und ich lasse sie zu Ihrem Wohnheim zurückbringen.«
Ich stöhnte. »Warum ist das so wichtig für Sie? Warum können Sie kein Nein als Antwort akzeptieren? In Palm Springs leben viele hübsche Mädchen. Sie brauchen Jill doch gar nicht.«
»Genau das ist es ja«, erwiderte Lia. »Viele hübsche Mädchen, die alle gleich aussehen. Jill ist aber etwas Besonderes. Sie ist ein Naturtalent und weiß es nicht einmal. Sie könnte eines Tages absolut großartig sein.«
»Eines Tages«, wiederholte ich. »Aber nicht gerade jetzt.«
Lia versuchte es mit einer anderen Methode. »Die Kampagne ist für Schals und Hüte. Ich kann nicht wieder Masken einsetzen, aber ich könnte ihr eine Sonnenbrille aufsetzen – vor allem, wenn wir draußen fotografieren. Sagen Sie mir, ob Sie mit diesem Plan einverstanden wären … «
»Lia, bitte! Sparen Sie sich die Mühe.«
»Hören Sie mir einfach zu!«, bedrängte sie mich. »Wir werden ein Fotoshooting machen. Anschließend können Sie alle Bilder durchsehen und diejenigen aussortieren, die ihren merkwürdigen religiösen Kriterien nicht standhalten.«
»Keine Ausnahmen«, beharrte ich. »Und ich lasse die Kleider hier.« Ich legte sie auf die Theke und ging hinaus, ohne auf Lias Beteuerungen zu achten, was sie alles an erstaunlichen Dingen für Jill tun konnte. Vielleicht eines Tages, dachte ich. Eines Tages, wenn Jills Probleme sich allesamt gelöst haben. Doch irgendetwas sagte mir, dass dieser Tag noch in weiter Ferne lag.
Obwohl meine Loyalität Spencer’s gegenüber groß war, erweckte auf dem Rückweg zu meinem Wagen ein kleines französisches Café meine Aufmerksamkeit. Oder vielmehr erweckte der Duft des Kaffees meine Aufmerksamkeit. Ich hatte gerade keine Verpflichtungen in der Schule und machte auf eine Tasse dort Halt. Ich hatte ein Buch für Englisch bei mir und beschloss, an einem der kleinen Tische des Cafés eine Weile zu lesen. Die halbe Zeit verbrachte ich damit, mit Brayden zu simsen. Er wollte wissen, was ich las, und wir tauschten unsere Lieblingszitate von Tennessee Williams aus.
Ich war kaum zehn Minuten dort, da fiel ein Schatten über mich und blendete die spätnachmittägliche Sonne aus. Zwei mir unbekannte Männer standen da, etwas älter als ich, der eine blond und blauäugig, der andere dunkelhaarig und tief gebräunt. Ihr Ausdruck war nicht feindselig, aber auch nicht freundlich. Beide waren gut gebaut, wie Männer, die regelmäßig trainierten. Und dann, nach kurzem Stutzen, begriff ich, dass ich einen von ihnen kannte. Der dunkelhaarige Mann war derjenige, der vor einer Weile an Sonya und mich herangetreten war und behauptet hatte, sie aus Kentucky zu kennen.
Sofort war die ganze Panik wieder da, die ich in der letzten Woche zu unterdrücken versucht hatte, dieses Gefühl, gefangen und hilflos zu sein. Einzig die Erkenntnis, dass ich an einem öffentlichen Ort und umgeben von Leuten war, ermöglichte es mir, diese beiden mit erstaunlicher Ruhe zu mustern.
»Ja?«, fragte
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