Bloodseal: Flucht ins Ungewisse (German Edition)
Jahr von ihr weg und dennoch fand sie mich immer wieder. Warum konnte nicht einmal in meinem Leben etwas glattgehen?
Mit einer Hand ballte ich eine Faust, mit der anderen griff ich zu meinem Nacken. An der Stelle war ich total wund und aufgescheuert. Das kam von dem vielen Kratzen und dem hoffnungslosen Versuch, das Tattoo dort loszuwerden. Was für eine schwachsinnige Idee!
Ich konnte mich noch genau an das Gefühl erinnern, als sich die kleine Nadel in meine Haut gebohrt hatte und die Tinte dort verteilte. Tinte … gemischt mit ihrem Blut.
Dieses verdammte Siegel. Seelen binden … Wie konnte ich nur so bescheuert sein?
Zu wissen, dass ihr Blut in mir floss, trieb mich jeden Tag aufs Neue in den Wahnsinn. Vollgepackt mit neuer Wut stürmte ich aufs Neue los. Wieder aus dem Wasser, in Richtung Stadt zurück. Zumindest hoffte ich, dass das die Richtung war.
In dem Moment fiel mir ein, dass ich vor lauter Vorfreude auf meinen Freilauf nicht einmal den Schlüssel zu Nicks Wohnwagen mitgenommen hatte. War ich jetzt ausgesperrt? Musste ich auf der Straße pennen? Schon wieder? Und dann auch noch ohne Shirt?
Aber eines hatte ich mit Sicherheit dabei: Nicks Zweithandy.
Immer noch im Laufen fischte ich es aus der Hose, wählte seine Nummer und lauschte dem monotonen Tuten. Und das tat ich lange. Zu lange. Er nahm nicht ab.
„Ach, verdammt!“, rief ich und hätte das Handy am liebsten einmal über den Erdball gepfeffert. „Kann der nicht einmal …“ Ich verstummte, als ich die schwache Straßenbeleuchtung vor mir erkannte.
Ich machte einen durchaus gekonnten Sprung über die Böschung, die mich in mindere Sicherheit beförderte, und sah dabei die Gestalt vor mir ein klein wenig zu spät. Wir prallten zusammen und gingen beide halb K.o. zu Boden. Zusätzlich knallte ich noch mit dem Kopf auf den Asphalt, der auf Biegen und Brechen nicht unter meinem Gewicht nachgeben wollte.
Ich stöhnte, als ich den Kopf etwas anhob. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich behauptet, das war der schlimmste Schmerz meines Lebens.
Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und erblickte ein Mädchen neben mir. Sie hatte bräunliche Locken, die schwungvoll um ihr Gesicht spielten. Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, schien aber nicht weiter verletzt zu sein. Vielleicht ein paar Kratzer.
Sie lebt noch. Bitte, was will sie mehr?
Als ich aufstand, begann sich alles um mich zu drehen, aber ich konnte nicht bei ihr bleiben. Jede Millisekunde konnte in so einer Situation lebensrettend sein. Also befahl ich meinem Körper sich vorwärtszubewegen. Weg von ihr.
Eine leise Entschuldigung stammelnd ließ ich sie zurück und rannte bis zu dem längst vergessenen Bahnhof, der mittlerweile zu meinem Zuhause geworden war. Die Schienen hatten Spaß daran nach meinen Füßen zu greifen und mich fast zu Fall zu bringen, doch ich blieb nicht stehen. Wurde auch nicht langsamer.
Ich hab ihr nicht einmal aufgeholfen … , dachte ich, als ich mich an die Tür von Nicks vollgeschmierten Wohnwagen lehnte, den er so an einen der Zugwaggons platziert hatte, dass eine kleine Wohnung daraus geworden war. Ich seufzte. So ist es vielleicht sogar besser. Lieber sie hat nichts mit mir zu tun, bevor sie es noch mit dem Leben bezahlt.
Nick, mein einziger Freund in meinem derzeitigen Leben, hatte sich hier an diesem stillgelegten Bahnhof seine eigene Welt errichtet. Sie war weit genug von dem Haus seiner Eltern weg, aber noch nahe genug, um täglich brav in die Schule zu gehen und den Musterschüler spielen zu können.
Mein Zufluchtsort , sagte er immer.
Der Typ hatte daheim alles, was ein Mensch sich wünschen konnte, bekam alles mit einem Fingerschnippen und trotzdem wollte er am liebsten hier wohnen. Versteh das mal einer …
Durch das verdunkelte Fenster drang das matte Licht des Terrariums. Syria war also daheim, fragte sich nur, ob sie auch die Tür aufsperren konnte.
Ja, weil Schlangen neuerdings Schlüssel benützen können!
Probeweise drückte ich die Klinke hinunter und … Oh, welch Überraschung! Es war abgesperrt.
Ich konnte doch schlecht zu Nick nach Hause gehen. Was, wenn seine Eltern aufmachen würden?
Tut mir leid, Sie so spät zu stören, aber ich wohne in dem umgebauten Wohnwagen Ihres jüngsten Sohnes, von dem Sie eigentlich nichts wissen dürften, aber hätten Sie vielleicht ’nen Zweitschlüssel?
Anschließend würden sie mich sicher zum nächsten Jugendamt schleifen …
Ja, klingt nach ’nem tollen
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