Blow Out (German Edition)
zu bringen.
4
Kurz vor der Mittagspause fragte sich Emma erneut, was zum Henker sie hier eigentlich tat. Vier Stockwerke tief unter der Erde, inmitten der weitläufigen Kellerräume, befand sich das älteste Archiv der Botschaft, eingebettet in Grundmauern, die lange vor der Jahrhundertwende errichtet worden waren. Die graue Farbe an den Wänden blätterte großflächig ab, und der nackte Betonboden verströmte Kälte. Unzählige Regale, vollgestopft mit überquellenden Aktenordnern, zogen sich durch den Raum. Aufgrund der schlechten Beleuchtung hatte Emma Mühe, die Beschriftungen der Ordnerrücken zu entziffern. Ihre Augen schmerzten, die Luft roch abgestanden und nach vergilbtem Papier. Wohin sie sah, alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen, und zu ihrem Leidwesen hatte inzwischen auch ihr Hosenanzug etwas davon abbekommen.
Über fünf Stunden wühlte sie sich nun schon durch uralte Akten, auf der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Unter nicht weniger als 5000 Aktenordnern sollte sie für Botschafter Franklin eine ganz bestimmte Akte finden. Leider war kein einziger dieser alten Ordner mit RFID -Transpondern ausgerüstet, mit deren Hilfe Emma die Akte in Sekundenschnelle hätte identifizieren können. Ein billiger Zehn-Cent-Transponder hätte ihr mehrere Stunden Arbeit erspart. War das zu fassen?
Sie zog einen Ordner aus einem Fach in Kopfhöhe. Feiner Staub wirbelte auf und führte zu einem Hustenanfall. Emma belegte Franklin mit Schimpfwörtern, die sie seit ihrer Teenagerzeit nicht mehr verwendet hatte. Bei ihrem gestrigen Treffen war er extrem gereizt gewesen und hatte irgendwie gehetzt gewirkt. Weshalb wollte er ihr nicht sagen, wozu er diese Akte benötigte? Mit aktuellen Botschaftsangelegenheiten konnte es nichts zu tun haben. Und auch die wichtigste Frage hatte er Emma nicht beantwortet: warum er ausgerechnet sie mit der Suche danach beauftragte. Wozu beschäftigte die Botschaft mehrere Aushilfskräfte? Wie es aussah, hatte Emma noch einen langen Arbeitstag vor sich.
Eine Minute später klappte sie den Ordner zu. Wieder Fehlanzeige. Shit.
Sie griff nach einer Wasserflasche und trank diese halb leer. Augenblicklich fühlte sie sich besser. Spontan entschied sie, die Mittagspause ausfallen zu lassen. Die Vorstellung, oben in den Korridoren Franklin über den Weg zu laufen, war ihr zuwider. In ihr hatte sich ein solches Aggressionspotenzial angestaut, dass sie für nichts garantieren könnte. Wozu hatte sie zwölf Semester Politikwissenschaften an der California State University in Northridge gebüffelt? Sicher nicht, um sich in diesem Drecksloch eine Stauballergie einzufangen.
Alles Lamentieren half aber nichts, daher setzte sie ihre Suche fort. Kurz darauf glitt ihr einer der Ordner aus der Hand und knallte mit voller Wucht auf den Boden. Der Verschluss sprang auf, und eine Flut von Dokumenten ergoss sich zu ihren Füßen. Na super .
Seufzend ging sie in die Hocke und begann, die vergilbten Blätter einzusammeln, wobei sie sich bemühte, nicht allzu viel des umherwirbelnden Staubs einzuatmen. Das Papier war brüchig. Eine unbedachte Bewegung, und sofort rissen die Ränder ein. Ihr Blick streifte über das Emblem des Großen Siegels der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Deckblatt einer alten Regierungsakte. Ein im Laufe der Jahre verblasster Top-Secret-Vermerk neben dem Wappen weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie hob die Augenbrauen. Noch nie hatte sie ein Originaldokument dieser Sicherheitsstufe in ihren Händen gehalten.
Aktenzeichen PM/CS/CWO MB – 25/11/2015 – Abschlussbericht
Emmas Herzschlag beschleunigte sich. Sie verglich das Aktenzeichen mit Franklins Angaben auf ihrem Notizzettel. Sie waren identisch. Sie hatte die Akte gefunden! Emma stieß einen Freudenschrei aus und ballte ihre Hand zur Siegesfaust. Die Aussicht, dieses Drecksloch in Kürze zu verlassen, verlieh Emma neuen Antrieb. Im Schneidersitz hockte sie sich auf den Boden und begann, die durcheinandergewirbelten Unterlagen vorsichtig wieder abzuheften.
Sie betrachtete den Top-Secret-Vermerk und zögerte.
Franklins ungewöhnliche Geheimniskrämerei hatte sie neugierig gemacht. Sie wollte, nein sie musste einfach wissen, weshalb der alte Mann so viel Aufhebens um diese Akte machte. Die fünf Minuten länger spielten nun auch keine Rolle mehr.
Zwei Stunden später ließ Emma das letzte Dokument mit versteinerter Miene achtlos zu Boden gleiten. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen. Diese Akte
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