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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Sie hielten das republikanische Ideal in ihren Händen, doch sie setzten es nicht um. Es vermischte sich vielmehr mit dem ökonomischen bzw. mit dem darwinschen Modell des Wettbewerbs, in dessen Rahmen auch antirepräsentative Strategien zulässig sind, weilman den einen, unteilbaren Jackpot nur gewinnen kann, indem man alle anderen besiegt bzw. auslöscht. Auch dieser Aspekt trug für uns Amerikaner zum Realitätsgehalt der Reality-Formate bei: Wir waren uns bewusst, dass wir Zeugen wurden, wie in winzigen Republiken die Prinzipien der Wahl bzw. der kollektiven Exzellenz mit einer anderen Macht, die unser Leben zunehmend bestimmt, konkurrierten bzw. sich mit ihr vermischten.
     
     
     
    Tricksereien und Machthunger sind also als Ursünden in die Mikrokosmos-Formate eingebaut. Es gibt allerdings noch einen weiteren Makel, der vor allem die Sendungen kennzeichnet, bei welchen das reine Urteilen im Mittelpunkt steht – die fixe Norm. Sie bringt den dritten Idealtyp des Reality- TV hervor: die quasi industriell produzierten Shows der großen Netzwerke.
    Latent spielten solche Normen bereits bei den aufwendiger produzierten Dating-Shows eine Rolle, jenen wettbewerbsähnlich aufgezogenen Formaten, die den einzelnen Richter eingeführt hatten, auf rote Rosen, willkürliche Regeln und eine Vorstellung der romantischen Liebe setzten, die man aus den Tiefen der Köpfe hervorgeholt hatte, die im Hintergrund von Sendern wie dem Hallmark Channel die Fäden ziehen. (Wobei man natürlich nie ausschließen kann, dass es nicht doch Menschen gibt, die ihr Leben nach solch romantisch-kitschigen Vorstellungen leben.) Man kann in jedem Fall mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass dieser dritte Typus des Reality- TV mit American Idol 3 die große Fernsehbühne betrat. American Idol ist die beste und zugleich die am stärksten mit Bedeutung aufgeladene Sendung aller industriell produzierten Formate, weil sie gerade auf jene Form der gemeinschaftlichen Unternehmung setzte, die Rousseau so sehr liebte: den Gesangswettbewerb, das heißt einen weitverbreiteten Cousin des Schönheits-, Tanz- oder sportlichen Wettkampfs. Wir alle singen – und sei es nur unter der Dusche. Der Umstand, dass wir auch Bilder von den Darbietungen der schlechtesten Kandidaten zu sehen bekamen, unterstrich noch einmal, dass dieser Wettkampf wirklich uns allen offenstand, dass auch das Trällern im Badezimmer zu jenem Pool gehörte, aus dem schließlich das amerikanische Idol gekürt werden würde. Außerdem machte die Sendung ganz »Amerika« zum Kampfrichter, da ab dem Halbfinale die Zuschauer mit über den Ausgang abstimmten. In den früheren Runden entschieden allerdings professionelle Juroren, und die Jury versammelte eine Reihe von Persönlichkeiten, die Allegorien bestimmter Typen von Kampfrichtern darstellten. Der englische Musikproduzent Simon Cowell gab den gestrengen Richter, er verkörperte sozusagen König Georg III . (während dessen Regentschaft die USA ihre Unabhängigkeit erlangten; Anm. d. Ü.); Paula Abdul war so etwas wie die universelle sexy Mutter und übernahm damit die Rolle von Betsy Ross (die der Legende nach die erste amerikanische Fahne genäht haben soll; Anm. d. Ü.); und Randy Jackson aus der Jackson-Familie hielt den Geist der ethnischen undkulturellen Vielfalt hoch. Wir hatten es also mit einer Allegorie der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung zu tun: Amerika würde von der Weisheit des englischen Königs lernen, seine Tyrannei überwinden, der eigenen Vielfalt die Ehre erweisen und schließlich die neu erworbene Unabhängigkeit nutzen, um selbstständig eine Entscheidung zu treffen – mit der die ohnmächtige englische Produktionsfirma, die die Platten des Siegers zu verkaufen hatte, dann würde leben müssen. Armer Georg III .! Die eigentliche Lektion war eine andere: Im Gegensatz zu Gesangswettbewerben auf der Highschool ging es den Plattenfirmen nicht einfach (oder nicht länger) darum, ob jemand singen konnte oder nicht. Aus ihrer Sicht kam es vielmehr darauf an, ob die Kandidaten den Anforderungen der Musikindustrie gewachsen und formbar genug waren, um sich an die Normen des Geschäfts anzupassen. Der Zauberer von Oz stand plötzlich ohne Kleider da, und die Öffentlichkeit bekam die Gelegenheit, seine Werkstatt genauer unter die Lupe zu nehmen und selbst darüber abzustimmen, welcher Knopf gedrückt und welcher Schalter umgelegt werden sollte. Dabei stellte sich heraus, dass es genauso viel Spaß machte, einen Gewinner zu

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