Bluescreen
man sie aus dem Werk Richard Hakluyts kennt. In diesen Sendungen sollte keine neue Zivilisation aufgebaut werden, im Grunde genommen waren sie nicht einmal am Reisen selbst interessiert – bei The Amazing Race kommen Einheimische allenfalls als verschwommene Konturen vor, die der Zuschauer durch die Fenster eines durch die Gegend rasenden Autos wahrnimmt. In diesen Shows wird ein amerikanischer Mikrokosmos als Spektakel inszeniert, eine kleine Gruppe ausgewählter Landsleute – die auch in der Fremde stets »amerikanisch« bleiben, ein wenig wie Kolonialherren agieren und die sich nie an die Kultur der jeweiligen Umgebung anpassen – vertritt als repräsentativer Querschnitt unsere Gesellschaft.
Die Sendungen brachten kontaktfreudige Amerikaner in eine Situation, in der sie auf die Interaktionen der Gruppe und auf soziale Aushandlungsprozesse zurückgeworfen waren. Sie litten keinen Hunger, es gab keine äußeren Bedrohungen. Obwohl Survivor offiziell als eine Art Wettkampf strukturiert war, kam es auf Talente und Begabungen nicht wirklich an; was zählte, war die Fähigkeit, »Allianzen« zu schmieden. Wir sahen Paare undTrios, die zueinander fanden, sich wieder auflösten und neu formierten, die sich betrogen und dann plötzlich doch wieder unzertrennlich waren, und das Gezänk und die Versöhnungen waren mit Abstand das Spannendste an den beiden Formaten; gerade bei The Amazing Race war am Ende gar nicht klar, ob wir uns überhaupt groß dafür interessieren sollten, welches der teilnehmenden Pärchen schneller vorankam. Wie reden Amerikaner miteinander, wie organisieren sie sich und wie bewältigen sie Aufgaben in einem minimalistischen Setting, das ein wenig ans Büro und ein wenig an zu Hause erinnert und in dem es vor allem ein bisschen so zugeht wie in einer Geschworenen-Jury, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit an einem isolierten Ort tagt? Viele Teilnehmer brachten etwas von ihrem Arbeitsalltag mit in die Sendung, und das war durchaus beabsichtigt, denn zur Identifizierung wurde nie allein ihr Name eingeblendet, sondern immer auch ihr Beruf im normalen Leben: Schauspielerin/Model, Programmierer, Feuerwehrmann. Es ist schließlich unser »Fest«. Und da wollen wir doch mal sehen, ob die Allianz zwischen dem Börsenhändler, dem Schreiner und der Schauspielerin hält. Wer wird als der »Survivor« übrig bleiben? Wer wird »überleben«? Kommt, wir schicken die Zwergin und ihre Cousine – Ach, sind die goldig! – gegen das böse Paar ins Rennen, das auf gar keinen Fall heiraten darf. Lasst uns also herausfinden, wer unsere wahren Repräsentanten sind.
Die Shows waren so angelegt, dass regelmäßig jemand von der Insel »gevoted« wurde, wodurch der Mikrokosmos sich immer weiter verkleinerte. Diese Struktur erinnerte, mit gewissen Verzerrungen, an den alten Gedanken einer Republik der – in politischer Hinsicht – Gleichen, die allerdings über unterschiedliche Begabungen verfügen. Man würde darüber beraten, wer die Interessen der Gruppe nach außen vertreten soll. Einer nach dem anderen würde erkennen, dass die anderen dafür talentierter sind, und sich zurückziehen, bis nur noch der am besten geeignete Repräsentant übrig wäre. Wenn in Amerika wirklich alle gleich wären, dann wäre dies das ideale Modell zur Vergabe von Mandaten im Stadt- oder Bezirksrat oder im Kongress: Wir würden unsere Souveränität nutzen, um unsere individuelle Souveränität zu begrenzen bzw. um sie für zwei oder vier Jahre in den Händen bestimmter Individuen zu bündeln, die dann in unserem Namen handeln. In diesem Sinne waren die Mikrokosmos-Formate so etwas wie eine politische Allegorie.
Ganz unabhängig davon waren einige dieser Sendungen jedoch von Anfang an mit einer Art Ursünde infiziert, die manchmal in den offiziellen Regeln steckte, manchmal aber auch in den informellen Instruktionen, die die Teilnehmer mit auf den Weg bekamen. Bei dieser Sünde handelte es sich um jene Bereitschaft zu tricksen und zu täuschen, die dem Machthungrigen gegenüber dem geborenen Anführer einen Vorteil verschafft. Die Teilnehmer rebellierten nicht, sie akzeptierten diesen Makel, den sie nur allzu gut von zu Hause, aus ihrem – wie es immer hieß – »richtigen Leben« kannten. »So sind eben die Spielregeln«, sagte jeder ehrgeizige Überlebende in spe mit der Resignation des Bären, der sich das Bein abkaut, das in der Falle steckt. »Man muss die Leute reinlegen, man kann nur sich selbst gegenüber loyal sein.«
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