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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Gesundheits-, Schönheits- oder Inneneinrichtungsindustrie verbreitet werden. Und all diese Industrien erwarten von uns, dass wir gehorchen. Sie sind insofern schlimmer als all die Schrecken des Theaters und der Erzählungen, weil sie nicht offenlegen, dass und in welchem Ausmaß auch sie fiktiv sind.
     
     
     
    Zwei Dinge machen also die Realität des Reality- TV aus: Es ist der Ort, an dem uns unsere Mitbürger gezeigt werden; und es zeigt uns, dass sie alle vom Fernsehen verändert wurden . Diese Realität ist die uneingestandene Wahrheit, die uns die fiktionalen Fernsehserien nicht zeigen können und auch nicht zeigen werden. Das Problem der Serien und anderer fiktionaler TV -Formate besteht ja, einmal abgesehen davon, was die korrumpierten Figuren erzählen oder tun, darin, dass diese Sendungen die Menschen zeigen, als würden ihre Leben nicht durch das Fernsehen beeinflusst. In dieser Hinsicht gelingt es ihnen alsonoch nicht einmal ansatzweise, unsere Realität einzufangen. (Romanautoren hingegen waren schon immer von der Frage besessen, inwiefern die Lektüre von Romanen unser Bewusstsein formt oder ruiniert.) Und diese Beobachtung steht durchaus im Einklang mit der Tatsache, dass das Fernsehen – viel stärker als andere Medien – bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen, unsere Leben zu formen und dass es sich selbst dann den Anforderungen des Marketings und der Wirtschaft unterwirft, wenn die Fernsehmacher selbst gar nicht so genau wissen, was sie da eigentlich anstellen.
    Serien, Filme und Dramen tun so, als sei alles ganz harmlos und fiktiv. In Wahrheit befördern sie allerdings bestimmte Lebensweisen. Doch wann immer die Normen der Wirtschaft die Art und Weise infiltrieren, wie unsere Realität im Fernsehen wiedergegeben wird, können sie ganz unmittelbar dafür sorgen, dass bestimmte Lebensweisen real werden – die Vermittlungsleistung der »harmloseren« fiktionalen Genres brauchen sie dann gar nicht mehr.
    Manchmal ist es möglich, Korruption mit Korruption zu bekämpfen: Man kann sich zum Beispiel eine Sendung wie Blind Date als Antidot gegen Friends ankucken. Doch auf welche Formate aus unserer Fernseherfahrung können wir zurückgreifen, wenn es darum geht zu zeigen, inwiefern sich unsere Häuser und Gesichter – entgegen der Botschaft von Extreme Makeover – eben nicht ummodeln lassen? Wer wird die Realität erfinden, die wir dieser »Realität« entgegenhalten können?
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1
  
Brief an D’Alembert über das Schauspiel , in: Jean-Jacques Rousseau: Schriften , Band 1, herausgegeben von Henning Ritter, München: Carl Hanser Verlag 1978, S. 333-474, S. 468.
2
  
Ebd., S. 462 f.
3
  
Die Sendung American Idol beruht auf demselben Konzept wie Deutschland sucht den Superstar . Beide Formate gehen auf die britische Sendung Pop Idol zurück, die von Simon Fuller, der unter anderem die Spice Girls produzierte, entwickelt wurde und 2001 auf Sendung ging. Die nationalen Ableger ähneln sich bis in die Gestaltung der jeweiligen Logos hinein (Anm. d. Ü.).
4
  
Die beliebte, von den eben skizzierten Regeln allerdings abweichende Show Fear Factor unterhält eine ganz andere Beziehung zur Norm. Fear Factor fügt dem Sport externe Regeln hinzu. All die Sportarten, die wir uns gemeinhin im Fernsehen anschauen (American Football, Baseball, Golf, Tennis), wurden ursprünglich zum Vergnügen der Teilnehmer erfunden und erst später für das große Publikum auf den Bildschirm gebracht. Im Gegensatz dazu scheint Fear Factor eine »Sport-Show« zu sein, die vor allem für die Zuschauer entwickelt wurde. Das Ziel der Show besteht schlicht darin, dass das Publikum gut unterhalten wird. Und was wollen die Leute sehen, wenn man nach dieser Sendung geht? Etwas, was niemand aussprechen oder gar für akzeptabel halten würde: Fernsehen (das hier die Rolle der Industrie insgesamt spielt), das beim Publikum ein Verlangen danach erzeugt, den menschlichen Körper in Posen und Aktivitäten zu sehen, die einem große Schmerzen bereiten würden, müsste man sie persönlich erdulden. Denn wie hätten wir auf die Idee kommen sollen, dass es Vergnügen bereitet, wie aus Marmor gemeißelten Adonissen und Frauen in Bikinis dabei zuzusehen, wie sie gezwungen werden, Kuhmilz zu essen oder sich in Kisten voller Nacktschnecken zu wälzen.

IM GESCHIRR
                
»Wir brauchen nicht nur den Flicken
    Wir brauchen den ganzen Rock
    Wir brauchen nicht nur das Stück Brot
    Wir brauchen den Brotlaib

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