Bluescreen
küren, der schlicht den Normen des Marketings entsprach, als individuelles Talent zu bewerten. Immerhin durften wir die Entscheidung treffen, und der Sieger war nach wie vor unser Idol. Ein Idol der kommerziellen Musikwirtschaft zwar, aber trotz alledem unser amerikanisches Idol, das uns alle repräsentieren sollte.
In den erfolgreichsten neuen Formaten der letzten Jahre wurden dann (zumindest vorgeblich) die Normen weiterer Branchen vermittelt. The Apprentice , eine Sendung, in der die Kandidaten Fähigkeiten erlernen sollten, die man alsGeschäftsfrau oder -mann braucht, demonstrierte vor allem, wie zufällig heute der Zusammenhang zwischen Qualifikation und Erfolg ist. Die Sieger wurden erfolgreich darauf gedrillt, bestimmten, in kaum einem anderen Lebensbereich üblichen Normen zu entsprechen: den »Werten des Business«, wie Donald Trump es versteht. America’s Next Top Model führte uns vor Augen, dass es bei Schönheitswettbewerben längst nicht mehr um Schönheit geht. Die Show bezieht ihre Faszination erstens aus der Erkenntnis, dass die Normen der Modebranche wenig mit unseren vertrauten Vorstellungen von Schönheit zu tun haben (abstrakt war einem das längst klar, aber hier war der Beweis), sehr viel hingegen mit den Anforderungen, die das professionelle Vorführen von Kleidungsstücken oder das Anpreisen von Kosmetikartikeln mit sich bringen; und zweitens aus der Erkenntnis, dass die Produzenten in den Kandidaten noch etwas ganz anderes suchten: eine Form der psychologischen Formbarkeit, der Bereitschaft, sich verwandeln zu lassen und zu gehorchen. The Starlet wiederum demonstrierte die Distanz zwischen den Regeln des Schauspielhandwerks und den Normen, die für TV -Darsteller gelten; doch auch hier wurden die Kandidaten im Namen des Mantras des »So läuft das eben in unserem Geschäft« psychologisch umgeformt, was ebenfalls lehrreich war. Man könnte die Reihe beinahe endlos fortsetzen: Bei Hell’s Kitchen ging es darum, wie man Profikoch wird, bei The Cut lernte man, wie man zum willfährigen Günstling eines Modedesigners aufsteigen konnte usw. usf. 4
All das ist sehr interessant und auf eine gewisse Art auch aufschlussreich. Diese Sendungen arbeiten dabei auf einen uns nur allzu vertrauten Zustand hin: Normen, die angesichts der Erfordernisse irgendwelcher Branchen gerechtfertigt sein mögen, verwandeln sich in Normen für interne Bereiche und infiltrieren diese Räume: zunächst das Bewusstsein, das wahnwitzige Anweisungen und Modifikationen akzeptiert; dann Bereiche, die überhaupt nichts mit dem öffentlichen Leben oder der Arbeitswelt zu tun haben, sondern vielmehr vor ihren Anforderungen geschützt sein sollten: das private Zuhause und die Unversehrtheit des Körpers, auch unter der Haut.
In den vergangenen Jahren tauchte nämlich eine geradezu barocke Vielzahl neuer Reality-Shows auf: The Swan , Extreme Makeover und, als sich herausstellte, dass diese Sendungen dann doch etwas zu krass für die Zuschauer waren, Extreme Makeover. Home Edition sowie die diversen Nachahmerformate. Auch The Swan und Extreme Makeover knüpften an jene Form des Spektakels an, das allen vergleichbaren Wettkämpfen zugrunde liegt: Schönheitskonkurrenzen wie die Wahlen zur Miss America, mit denen wir einst unser Land besser kennengelernt hatten und bei denen man der Vertreterin des eigenen Staates die Daumen drückte, während man die schönsten Blumen der anderen 49 anerkennend bewunderte. Shows wie The Swan beförderten einen neuen Typ von Norm, sie stellten sie gleichsam auf chirurgischem Weg wieder her, indem man die Gesichter und die Körper der Teilnehmer buchstäblich umbaute. Sie sollten dabei keine Schönheit ausstrahlen, sondern eher eine Form des televisuellen Glamours. Man verpasste durchschnittlichen, nicht sonderlich attraktiven Menschen Nasen- und Brust- OP s, saugte Fett ab, spritzte ihre Lippen mit Collagen auf, ließ sie abnehmen und entfernte dann die hängende Haut, liftete sie, und nach einer zusätzlichen Dreiviertelstunde Psychotherapie sahen sie plötzlich aus wie formbare Models aus Wachs. So saßen sie dann wie Gefangene einsam und allein in einem düsteren Gemäuer, bis die auf natürliche Weise schöne Moderatorin die samtenen Vorhänge vor dem Spiegel aufzog und die umgebaute Frau vor lauter Schreck unweigerlich zu weinen anfing. »Du weinst«, erklärte die Hausherrin dann feierlich, »weil du dich noch nie so schön gesehen hast. Du weinst, weil du verwandelt wurdest.« Sie
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