Bluescreen
wiederholte diese Litanei so lange, bis das vor lauter Schluchzen sprachlose Opfer schließlich nickte. Wem dies wie Gehirnwäsche vorkam, der hatte lediglich noch keine Vorstellung von der wahren Dimension des Horrors, die erst ersichtlich wurde, als die Regie uns Bilder aus einem Besprechungszimmer zeigte, in dem Schönheitschirurgen ihre gelungene Arbeit bejubelten, deren Gesichter, Zähne, Augen und Haare ebenfalls chirurgisch modifiziert worden waren, so dass auch sie künstlich, ja geradezu monströs anmuteten. (Irgendwoher taucht in mir jetzt plötzlich die Erinnerung an eine jener berühmten, von Rod Serling geschriebenen Episoden der Serie Twilight Zone auf, sie müsste so aus dem Jahr 1960 stammen: Eine ganz normale Frau wird von allen als hässlich bezeichnet und so lange unter Druck gesetzt, bis sie sich einer Operation unterzieht, nach der ihr Gesicht total verschandelt ist. Wir können überhaupt nicht nachvollziehen, was vor sich geht, bis die Kamera weiter aufzieht und wir erkennen, dass in der Welt dieser Frau alle Menschen auf entsetzliche Weise entstellt sind – Iiii-gitt!)
Diese Shows wollten nicht einfach nur zeigen, wie sehr Menschen verändert werden konnten, sondern dass sie verändert werden konnten. Wie hieß es so schön im Vorspann der Serie Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann : »Wir haben die Technologie . . .«, doch was uns fehlte, war ein Vorwand, um sie einzusetzen. Als sich zeigte, dass die Zuschauer zunehmend darüber irritiert waren, dass den Menschen Normen quasi unter die Haut injiziert wurden, widmeten die Sender immer mehr Episoden Menschen, die hässlich oder gar entstellt waren, so dass man die Propaganda für die Norm als Akt der Wohltätigkeit oder als medizinische Notwendigkeit verkaufen konnte. Als wesentlich erfolgreicher erwies sich dann jedoch eine subtile Kehrtwende, die ebenfalls als Mildtätigkeit präsentiert wurde: Man zerstörte nun nicht länger die Gesichter der Menschen, um sie anschließend zu rekonstruieren; in demAbleger Extreme Makeover. Home Edition wandte man sich vielmehr ihrem Zuhause zu. Die Sendung trieb das Prinzip älterer Inneneinrichtungsformate wie Trading Spaces (eine Show, in der Menschen übereinkamen, jeweils einen Raum im Haus ihrer Nachbarn neu einzurichten) auf die Spitze. In irgendeiner Form gelang es Extreme Makeover also immer, in den Kernbereich des Privaten vorzudringen: wenn nicht über den Körper, dann doch wenigstens über jene Räume, die ihn schützen sollen. Ein Team von Spezialisten rückte an, um unser schäbiges Domizil auseinanderzunehmen und neu auszustatten. Bei den Gebäuden, die auf diesem Weg entstanden, handelte es sich nicht länger um Wohnungen im eigentlichen Sinne, sondern eher um so etwas wie Freizeitparks. Die Innenarchitekten statteten sie nicht mit irgendwelchen Luxusgegenständen aus, sondern sie spekulierten zunächst zehn Minuten lang oberflächlich über die Psyche der Bewohner, bevor sie die Räume mit angeblich dazu passenden Dekorationselementen vollstellten: »Der kleine Timmy will Feuerwehrmann werden, also haben wir das Kinderzimmer so angemalt, als ob es in Flammen stünde!« Solange die Hausbesitzer arm oder beschränkt genug waren, bedeutete praktisch jede Veränderung eine Art Fortschritt. Die Sendung wurde ein enormer Erfolg.
Alle erdenklichen Maßnahmen, die man im Namen der Wohltätigkeit oder der Gesundheit ergreifen kann, sind dazu geeignet, gesellschaftliche Normen in immer mehr Bereiche unserer Privatsphäre einzuschleusen. Angeblich plant Fox gar eine Show namens Who Wants to Live Forever? , eine »Sendereihe, in welcher zunächst der Todeszeitpunkt der Teilnehmer berechnet wird, bevor man ihnen dabei hilft, durch gesunde Ernährung, Sport und dasAblegen schlechter Gewohnheiten ihre Lebenserwartung zu verlängern«. Somit schließt sich der Kreis, und das Reality- TV gibt uns nicht länger allein die Möglichkeit, unser reales Leben zu beobachten, sondern auch alle möglichen Eingriffe, die man im Namen eines lediglich statistisch berechneten zukünftigen Lebens daran vornimmt. Das Vakuum, das entstehen könnte, wenn die Formate, in denen wir uns gegenseitig beobachten bzw. von der Öffentlichkeit beobachten lassen, wird mit Privatangelegenheiten gefüllt, die wir sonst nicht zu sehen bekommen oder nicht sehen sollten. Im Mittelpunkt des großen medialen »Fests« stehen dann nicht länger wir selbst in unserer Eigenschaft als Bürger, sondern Phantasmen, die von Branchen wie der
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