Bluescreen
obwohl wir das Vertraute oft instinktiv bevorzugen, sind wir doch nie mit einer Erfahrung zufrieden, wir streben immer nach der nächsten, die noch stärker, noch neuartiger, noch extremer sein soll. Das steckt vermutlich auch hinter dem karnevalistischen Ritual des Datings: Wir tauschen einen Partner gegen den nächsten und genießenserielle Momente anonymer Intimität. Doch selbst jene Augenblicke, in denen irgendeine andere Person uns körperlich nahe ist, erleben wir als tröstlich, in gewisser Weise haben sie sogar eine anästhetische Wirkung: Worauf es in diesen vergänglichen Episoden ankommt, sind nicht nur die Ereignisse, die wir nacherzählen können, sondern auch die leisen, flüchtigen Momente des Sich-gemeinsam-Vergessens.
Wenn es darum geht, der allzu aufdringlichen Erfahrung zu entfliehen, gibt es natürlich sehr viel besser organisierte Wege – nicht naive Wege, sondern moderne Ideologien. Eine dieser modernen Ideologien ist jene Bewegung, die sich das einfache Leben, auch Downshifting genannt, auf die Fahnen geschrieben hat. Diese Bewegung widmet sich ganz bewusst dem Ziel, die Anzahl der Gegenstände zu reduzieren, dir wir besitzen, um die Erfahrung zu entschlacken. Wir sollen herausfinden, welche Erfahrungen aus dem Wust an unterschiedlichen Optionen wirklich einem echten Bedürfnis entsprechen. Es gilt, unseren Drang, immer mehr Gegenstände anzusammeln, zu zügeln, um sich auf einige tatsächlich unverzichtbare Dinge zu konzentrieren. Als Novize lernt man zunächst, den Kleiderschrank auszumisten und nur die wirklich nützlichen Klamotten zu behalten; dann soll man sich von möglichst vielen Freunden und Bekannten verabschieden, um Zeit mit den wenigen Menschen zu verbringen, die einem wichtig sind; anschließend lernt man, Nachrichten aus fernen Ländern zu ignorieren und sich für die kleinen Ereignisse in der unmittelbaren Umgebung zu interessieren. Hat man einmal das Fortgeschrittenenstadium erreicht, trennt man sich erst von einem der beiden Autos, dann auch vom zweiten; man sucht sich ein kleineres Haus, einen wenigeranstrengenden Job und damit im Endeffekt eine geringere Anzahl von Erfahrungen, die jedoch viel intensiver sind und sich leichter kontrollieren lassen. Bei dieser Ideologie geht es, streng genommen, nicht ausschließlich darum, sich der Erfahrung zu verweigern, sondern auch darum, die verbleibenden Erfahrungen zu reinigen.
Insofern hat also auch die Bewegung der freiwilligen Einfachheit immer dann, wenn sich ihr die Menschen nicht explizit anschließen, um der Erfahrungsüberflutung und den medialen sowie realen Dramen zu entgehen, die Tendenz, ins andere Extrem zu verfallen. Sie stellt sich dann in den Dienst einer Ästhetik der lebhafteren, reineren und verbesserten Erfahrung. Es geht nicht länger um weniger, sondern um perfektere, ideale, ja sogar um neue Klamotten. Das ist die Marktnische von Hochglanzmagazinen wie Real Simple , Publikationen für Menschen, die bewusst die Abwechslung unterschiedlicher einfacher Dinge suchen, die ihre Wohnungen in »einfacheren« Farbtönen (Eierschale, Porzellan, helle Pastelltöne) umdekorieren wollen, anstatt sich mit weniger Gegenständen zufriedenzugeben oder gar die alten, leicht verfügbaren, möglicherweise hässlichen zu akzeptieren, die schon lange da sind und dadurch weit weniger neu und aufdringlich wirken.
Die organisierte spirituelle Lehre, die vermutlich für die größte Anzahl von Amerikanern von anästhetischem Nutzen sein könnte, dürfte allerdings der Buddhismus sein. Doch überraschenderweise ist die Zahl seiner Anhänger nach wie vor überschaubar. Der Buddhismus ist sozusagen das Original, eine uralte Lehre, auch wenn es bisweilen recht kompliziert sein mag, sie für unsere heutigen Zwecke zu übersetzen. Zumindest in der Variante, in der sie mir häufig erklärt wird, erinnert mich die Idee der»Nicht-Anhaftung« dabei stark an die Unerschütterlichkeit der Epikureer oder an das stoische Ideal der Apathie. Und je häufiger ich den Begriff »Achtsamkeit« höre, desto größere Parallelen erkenne ich zu den Konzepten des Ästhetizismus bzw. des Perfektionismus. Im Gegensatz zu diesen hat der Buddhismus die »Achtsamkeit« jedoch von den Anforderungen der spezialisierten Kennerschaft und der moralischen Selbsterkundung befreit, die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf den eigenen Körper (auf die Atmung, auf grundlegende Sinneswahrnehmungen usw.), so dass sich die Lehre an dieser Stelle in einen Hybrid aus
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