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Bluescreen

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Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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erringen.
     
     
     
    Wenn ich jedoch in weniger ausgeglichener, ja ungnädigerer Stimmung über meine Landsleute nachdenke, die im Verborgenen leiden, so kommt mir die weitaus härtere anästhetische Lehre der spätrömischen Stoiker in den Sinn. Als Ort existierte die Stoa in Athen schon zu Zeiten des Epikur, es handelte sich um einen Ort des Lernens und der Konversation, vergleichbar der Akademie, dem Garten der Epikureer oder dem Lykeion des Aristoteles. Als philosophische Lehre scheint der Stoizismus seine emphatischste und dauerhafteste Ausprägung erst viele Generationen später gefunden zu haben. Wer diese Lehre in ihrer reinsten und zugleich endgültigen Form kennenlernen will, sollte sich Epiktet zuwenden. Epiktet lebte wesentlich später als seine griechischen Vorläufer, und seine Biografie ist weit besser dokumentiert. Die Gewalt der Rhetorik Epiktets hat dabei durchaus etwas Kräftigendes. Wir sollen nicht nur lernen, uns mit Küchlein aus Gerstenmehl und verdünntem Wein zu begnügen, nein: Es gilt vielmehr, die Erfahrungen als solche mit Stumpf und Stiel auszurotten. Wenn wir das geschafft haben, kann uns nichts etwas anhaben: weder die verschwenderischsten Genüsse noch die härtesten Schläge des Schicksals.
    Wo es um die Methoden geht, mit denen wir unsere Bedürfnisse kontrollieren können, unterscheidet sich das System der Stoiker nicht groß von dem der Epikureer. Wir sollen uns unempfänglich machen für das Gefühl der Lust, weil das Bewusstsein nur so die Erfahrung zu disziplinieren vermag. In der Spielart Epiktets lehrt der Stoizismus, dass es gilt, die Welt in zwei Kategorien von Phänomenen aufzuteilen: Dinge, die man selbst beeinflussen kann, und Dinge, die sich dem eigenen Einfluss entziehen. Sobald dies geschafft ist, muss der Mensch nur noch lernen, sein Begehren und seine Abneigung so zu steuern, dass er niemals etwas begehrt, dem er nicht gewachsen ist oder das er nicht kontrollieren kann, und dass er niemals Abneigung gegen etwas entwickelt, das er ohnehin nicht beeinflussen kann. Zu den Dingen, die sich unserem Einfluss entziehen und an die wir unser Streben demnach nicht heften sollen, zählen Ehrungen, Naturereignisse, die Gedanken, das Verhalten und die Reaktionen anderer Menschen sowie alle positiven Empfindungen, die mit dem eigenen Körper zu tun haben. Zu den Dingen wiederum, die es ungerührt hinzunehmen gilt, zählen Krankheiten, Todesfälle sowie alle unangenehmen oder schmerzhaften Empfindungen. Der Stoiker mag vor Schmerzen stöhnen, er darf sich darum jedoch nicht wirklich kümmern. All diese Dinge liegen in der Hand der Natur, nicht in der unseren.
    »Bei allem, was dir Freude macht, was dir nützlich ist oder was du gern hast, denke daran, dir immer wieder zu sagen, was es eigentlich ist. Fang bei den unbedeutendsten Dingen an. Wenn du zum Beispiel an einem Topf hängst, dann sage dir: ›Es ist ein einfacher Topf, an dem ich hänge.‹ Dann wirst du dich nämlich nicht aufregen, wenn er zerbricht. Wenn du dein Kind oder deine Frau küßt, dann sage dir: ›Es ist ein Mensch, den du küßt. Dann wirst du deine Fassung nicht verlieren, wenn er stirbt.‹« 8
    Das Leben, gibt Epiktet an einer Stelle zu verstehen, ähnele einer Reise nach Olympia. Man reist dorthin – nun, weil eben alle anderen auch dorthin reisen. Aber man muss sich darauf einstellen, dass es dort unerträglich sein wird: »Leidet ihr da nicht unter der Hitze? Herrscht dort nicht ein furchtbares Gedränge? Müßt ihr euch da nicht unter primitiven Verhältnissen waschen? [. . .] Seid ihr nicht Lärm, Geschrei und anderen Unannehmlichkeiten in Hülle und Fülle ausgesetzt?« All dies wird man achselzuckend hinnehmen. »Und was kümmert mich das, was mir noch passieren kann, wenn ich über Seelengröße verfüge?« 9
    Nur in eine Sache soll der Stoiker Emotionen investieren: in seine eigene Urteilskraft und Willensstärke, da sich daran die »Seelengröße« entscheidet. Er wird stolz sein, wenn es ihm gelingt, seine Entscheidungen sowie sein Begehren und seine Abneigungen zu kontrollieren. Missvergnügen hingegen wird es ihm bereiten, wenn er darin vorübergehend scheitert. Die stoische Vernunft macht den Menschen zum absoluten Herrscher über sein Urteilen; sie löscht alles Schlechte aus und lässt die Konturen des wahrhaft Guten umso klarer hervortreten: des rechten Gebrauchs des Urteilsvermögens.
    Die stoische Weigerung, unmittelbaren Erfahrungen irgendeine Bedeutung zuzuschreiben, abgesehen

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