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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Ästhetizismus und Seelenruhe verwandelt. Buddhisten werden nun zu Recht darauf hinweisen, dass ihre Praktiken viel älter sind und nicht mit antiken oder modernen Lehren in einen Topf geworfen werden sollten. (Da ich selbst kein Buddhist bin, kann ich das nicht wirklich beurteilen.) Wenn man sich jedoch die amerikanisierte Version des Buddhismus genauer ankuckt, wenn man die entsprechenden Bücher, Flugblätter, Kassetten oder Vorträge analysiert, so fällt einem auf, wie viele unterschiedliche Methoden und Ziele hier vermischt werden. Haben wir es hier einfach mit einer Vielzahl heterogener Sekten zu tun, die außer dem Namen kaum etwas gemeinsam haben? Oder sind wir einmal mehr mit jener ewigen Janusköpfigkeit konfrontiert, die alle möglichen Selbsttherapien kennzeichnet, die in Amerika praktiziert werden? Ein Konzept wie jenes der Achtsamkeit kann für einige einen Weg darstellen, Erfahrungen abzumildern, während andere es nutzen, um mehr und intensivere Erlebnisse zu sammeln; einen Weg, um vorübergehend aus der Gesellschaft auszusteigen, zugleich aber auch eine Methode, die anderen zu überholen; einige sehen darin eineMöglichkeit, mit sozialen Konventionen zu brechen, anderen hingegen hilft es dabei, sich an konventionelle Anforderungen anzupassen und Reibungen zu vermeiden. Die Sache verhält sich ähnlich wie beim Yoga, das schon vor langer Zeit in die USA importiert wurde: Manche Anhänger erkennen darin ein zusammenhängendes System der Lehren, des Wissens und der Hingabe; für andere ist es schlicht eine Form des Fitnesstrainings, das sie ausüben, weil sie abnehmen oder ihren Muskeltonus verbessern wollen.
    Eine weitere Alternative zum spätmodernen Erfahrungshunger scheinen die diversen New-Age-Kulte zu bieten. Was mich dabei immer wieder überrascht, ist der Umstand, dass uns diese Erlösungsbotschaften auffallend häufig von Aliens überbracht werden: von Außerirdischen, von Wesen der fünften Dimension, von Angehörigen ozeanischer Stämme, die sich dort unten in ihrem blubbernden Atlantis von vielfach gebrochenem bläulichen Licht erleuchten lassen und uralte Wahrheiten für uns bereithalten. Ich nehme an, dass es sich bei diesen Fantasiearchaismen und interstellaren Offenbarungen letztlich um nichts anderes als eine Spielart unserer bekannten Begeisterung für alles Orientalische und der Idee handelt, dass sich die Wahrheit am Morgen offenbart, nicht am Abend, den unsere Zivilisation mittlerweile erreicht hat. Und wenn ich ehrlich bin, folgt diesem Prinzip vermutlich auch mein eigener Wunsch, anästhetische Lehren im Herzen der abendländischen Kultur selbst zu entdecken, im Kreis von Sandalen tragenden Epikureern und Stoikern, deren komplizierte Lehren ich mir mutwillig für meine eigenen Zwecke zurechtbiege. Wir können nur schlecht unsere eigenen Ratschläge annehmen, also nehmen wir die Ratschläge von Männern und Frauen mit sehr befremdlichen Gepflogenheiten an. Je merkwürdiger und fremder sie klingen, desto besser – so entfremdet fühlen wir uns mittlerweile von unseren Zeitgenossen, die überhaupt nicht zu verstehen scheinen, wo denn eigentlich das Problem liegt.
    All diese Ideologien sind natürlich dem Leid auf jenem Feld vorzuziehen, auf dem der unfreiwillige Verzicht auf Erfahrung heute wohl die größte Rolle spielt: dem der Depression mit ihren Symptomen der Lustlosigkeit, der Antriebslosigkeit und der Gleichgültigkeit. Von Menschen, die an eher leichten Depressionen leiden, hören wir oft, ihre Krankheit sei eine logische und nachvollziehbare Reaktion angesichts einer Umwelt, die uns alle mit Erfahrungen und Anforderungen geradezu bombardiert. (Wir neigen bisweilen dazu, diesen Leuten zu unterstellen, dass sie ihre individuellen Probleme zu sozialen aufblasen.) Aus dem entgegengesetzten Blickwinkel und mit weitaus größerer Glaubhaftigkeit erklären uns die von schweren Depressionen Betroffenen, ihr Leiden stelle keine logische oder nachvollziehbare Reaktion auf irgendetwas dar, weil die Negation der Erfahrung, die damit einhergeht, viel schlimmer sei als alles, was ein Mensch jemals aus Gründen des Selbstschutzes auf sich nehmen würde. Depressionen schützen das Selbst vor gar nichts, vielmehr legen sie den Betroffenen den Wunsch zu sterben nahe. Wir haben es hier mit einem so extremen Zustand zu tun, dass man meinen könnte, er entzöge sich dem Zugriff kulturwissenschaftlicher Analysen. Allerdings habe ich oben bereits darauf hingewiesen, dass es bei anästhetischen

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