BLUFF!
aber nicht zu unterschätzen ist. Was in dieser Welt vorkommt und was in ihr nicht vorkommt, was in ihr wichtig ist und was in ihr unwichtig ist, was in ihr Wert hat und was in ihr als wertlos gilt, das hat natürlich einen enormen Einfluss auf das Weltbild eines jeden Menschen. Denn der Mensch verlebt eine beträchtliche Zeit seines wachen erwachsenen Lebens an seinem Arbeitsplatz. Dort erlebt er seine Erfolge und seine Misserfolge, dort knüpft er wichtige soziale Kontakte, dort ist er wer. Doch auch in der heutigen Berufswelt kommen existenzielle Erfahrungen in der Regel nicht vor. Wer am Arbeitsplatz dauernd den Sinn des Lebens thematisiert, kann sich bald einen neuen Job suchen, wer da alles nur für Gotteslohn tut, geht bald pleite, und Liebe am Arbeitsplatz ist bekanntlich ein heikles Thema. Der Beruf gibt dem Leben Sinn, aber er ist nicht der Sinn des Lebens. Und so sorgt auch die Allgegenwart der Berufswelt mit dafür, dass die existenziellen Erfahrungen eines menschlichen Lebens merkwürdig unernst und geradezu nebensächlich wirken neben dem Ernst des Lebens in der harten Arbeitswelt.
Auch hier soll nicht Klage darüber geführt werden, dass die Arbeit den Menschen von sich selbst entfremdet. Das mag manchmal so sein, doch zumeist speist die Arbeit das Selbstwertgefühl eines Menschen, und die Arbeitslosigkeit ist eine Plage. Es geht hier bloß um die Gefahr, dass der Beruf nicht nur als wichtiger Teil eines Lebens erscheint, sondern dass er die ganze Sicht der Welt bestimmt und dass man dadurch blind wird für das eigentlich Wichtige, das sich jenseits des Berufes in all den unberechenbaren und unwiederholbaren Momenten eines einzigartigen menschlichen Lebens ereignet.
Woran liegt es, dass der berufliche Erfolg und überhaupt der Erfolg im Leben in den vergangenen Jahrhunderten eine so atemberaubende Karriere gemacht hat? Der berühmte Soziologe Max Weber hat behauptet, die protestantische Ethik sei schuld daran. Tatsächlich hatte vor allem der Calvinismus ein Problem. Er glaubte nicht, dass der Mensch durch eigenes Zutun für sein ewiges Seelenheil irgendetwas erreichen könne. Wer sich also sein ganzes Leben lang für andere aufopferte, konnte gnadenlos in der Hölle landen, und wer von morgens bis abends sündigte, der konnte dennoch von der göttlichen Vorsehung zur ewigen Glückseligkeit auserkoren werden. Der Horror vor jeder aufmüpfigen Eigenmächtigkeit des in der Sünde zerbrochenen Menschen führte diese Calvinisten unbeabsichtigt zur absurden Vorstellung von einem unberechenbaren tyrannischen Willkürgott.
Wie aber wollte man im Ernst in dieser entsetzlichen Ungewissheit leben? Und so kam es, dass gewisse Calvinisten wenigstens einen Hinweis darauf zu finden meinten, dass ein Mensch zu den Auserwählten gehörte, und das war ausgerechnet – der wirtschaftliche Erfolg. Kein Wunder also, dass der moderne Kapitalismus in ursprünglich calvinischen Weltgegenden aufblühte. Es hat über diese These eine lebhafte Diskussion gegeben, und schon Max Weber selbst hat darauf hingewiesen, dass es hier bloß um die geistigen Wurzeln einer modernen Dynamik geht, die längst ihre religiösen Ursprünge abgeschnitten und vergessen hat.
Inzwischen geht es bekanntlich nur noch um den Erfolg an sich, im diesseitigen Leben und für das diesseitige Leben. Der Himmel kann warten. Dabei treibt die unbändige Sehnsucht danach, der Beste zu sein, amüsante Blüten. Das Guinnessbuch der Rekorde erhebt den Schwachsinn zur Methode, und kaum jemandem gelingt es bei den bierernsten Wettbewerben noch, dahinter den ursprünglichen britischen Humor wahrzunehmen.
Unsere Castinggesellschaft hat den Erfolg vollends banalisiert. Da erklären sich irgendwelche abgedrehten, aber höchst geschäftstüchtigen kruden Gestalten zur Jury und inszenieren mit oder ohne Fernsehen eine Art Travestie des Jüngsten Gerichts, spielen sich selbst als quasi göttliche Instanzen auf und erwecken den Eindruck, sie würden jetzt über Wohl und Wehe von Menschen entscheiden. »Es geht jetzt um alles!«, ruft der größenwahnsinnige humorfreie Moderator. Zitternd harren die Kandidaten des letztgültigen Urteils, das nach unergründlichem Ratschluss die einen in höllische Verzweiflung stürzt, die anderen aber scheinen in einen Himmel unglaublicher Möglichkeiten aufzusteigen. Doch der scheinbare Himmel entpuppt sich schon bald als eine plumpe Fälschung. Von wirklichem Erfolg keine Spur. Man erklärt dann noch schnell den
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