BLUFF!
sind, die tun zumeist auch nur redlich ihre Pflicht. Und es geht auch nicht darum, in die allgemeine Klage über die Amoralität der Finanzmärkte einzustimmen. Es geht nur darum, zu zeigen, dass die Finanzwelt durch ihre pure machtvolle Existenz den kaum widersprochenen Eindruck vermittelt, die eigentliche Welt zu sein, und dass dieser Anspruch auf einer Fälschung beruht. Denn eines ist klar: Selbst der immer so alerte Banker wird im Zweifel vom Verrat seines besten Freundes härter getroffen als vom Platzen eines Kredits, er wird von der Liebe zu einer faszinierenden Frau tiefer ergriffen als von der ultimativen Geldanlage, und auf seinem Sterbebett wird ihn das Zwitschern eines kleinen Vogels mehr berühren als der Aktienindex vom Tage. Sollte es nicht so sein, hätten wir Zweifel, ob der Mann noch recht bei Troste ist. Wir müssten befürchten, dass er sich rettungslos im Labyrinth dieser Plastikwelt verlaufen hat, dass er zur Gänze der Fälschung der Welt aufgesessen ist, die täglich auf uns alle einwirkt und uns immerzu zuflüstert: Was bist du schon, du kleiner lächerlicher Wicht, mit deiner ängstlichen Moral, mit deinen wankelmütigen Gefühlen, mit deinen kleinen lächerlichen Sorgen und Nöten in den großen gewaltigen Stürmen des riesigen machtvollen Marktes!
Inzwischen hat die Finanzwelt auch die Politik in einem Maße gefangen genommen, das noch vor Jahren undenkbar schien. Gewiss, auch früher schon hatten Wirtschaftskrisen und Börsencrashs handfeste politische Folgen. Die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hat den Nazis den Weg an die Macht geebnet. Doch dass zurzeit in den öffentlichen politischen Debatten, die ohnehin in geistlosen politisch korrekten Ritualisierungen erstarrt sind, die klassischen demokratischen Themen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Freiheit ganz in den Hintergrund treten gegenüber schwer durchschaubaren finanzpolitischen Interventionen und die ehrwürdigen Parlamentarier zwischenzeitlich alle paar Wochen zum Hammelsprung zusammengetrieben werden, ohne offensichtlich zu wissen, worum es bei der Abstimmung eigentlich geht, das ist zweifellos neu. Da regt sich dann auch kaum jemand auf, dass zeitweilig von führenden Repräsentanten des Staates die Unwahrheit gesagt werden »muss«, um die Märkte nicht zu beunruhigen. Und wenn jemand trotzdem zur Unzeit laut die Zahlungsfähigkeit Griechenlands in Frage stellt, wird er parteiübergreifend gerüffelt. Das ist kaum merklich die Übernahme der Politik durch die Finanzwelt.
Wohin aber eine Gesellschaft gerät, in der von ihren führenden Repräsentanten gewohnheitsmäßig nicht mehr mit schlechtem Gewissen gelogen wird, sondern angeblich aus marktstabilisierender Pflicht, das ist im Grunde kaum auszudenken, wird aber schicksalsergeben noch nicht einmal thematisiert. Und zur Beruhigung lässt man sogenannte Experten verkünden, wir alle würden ohnehin x-mal am Tag lügen. Na ja, wenn man fälschlicherweise behauptet, das Klo sei besetzt, ist das noch lange keine absichtliche eigennützige Täuschung eines Mitmenschen. Da hat wohl eher der Volksmund recht, wenn er skeptisch vermutet: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. In Wirklichkeit würde es natürlich kalt und einsam um die Menschen, wenn man niemandem mehr ernsthaft vertrauen könnte. Doch der Welt des Geldes ist das egal. Auch wenn sie nicht ohne ein gewisses Vertrauen funktioniert, letztlich kennt sie nicht wahr und falsch, gut und böse, schön und hässlich. Sie ist eine Welt für sich.
In dieser Welt gibt es nicht den einen großen Regisseur wie in Trumans Welt, sondern in ihr sind viele absichtliche und unabsichtliche Fälscher am Werk. Doch das Ergebnis ist das gleiche: die große Illusion einer höchst komplexen Scheinwelt, vor der der existenzielle Ernst eines einfachen Menschenlebens keine Bedeutung zu haben scheint. Und genau das ist der große Irrtum. Wer diesem Irrtum erliegt, der vertut sich nicht bloß ein bisschen, sondern er begeht einen tödlichen Fehler, den er niemals wiedergutmachen kann: Er verpasst sein Leben.
c) Die Castinggesellschaft spielt Jüngstes Gericht
Nur wenige Menschen sind reich, aber jeder von uns braucht Geld zum Leben, und daher kann sich niemand so ganz der blinden Eigendynamik des Geldes entziehen. In der Regel verdient man sein Geld durch einen Beruf, und die Berufswelt ist eine eigene kleine Welt, die
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