BLUFF!
umso heftiger brennt, hat sich eine ganze Gesellschaft verschworen, das ewige Leben eigenhändig herzustellen. Wenn es möglicherweise keine Perspektive nach dem Tod gibt, dann muss man eben alles tun, um die Haltbarkeit des Homo sapiens wirksam zu erhöhen und durch ein gesundes Leben den Tod todsicher zu vermeiden. So wurde die Krise der abendländischen Religiosität zur Geburtsstunde einer machtvollen neuen Religion: der Gesundheitsreligion.
Im gesundheitsfrommen Dauerkampf gegen den Tod hat das Leben seine Unbefangenheit verloren. Bewegung, Essen, Trinken, Schlafen, Lieben, Hassen, Lachen, Rauchen und Nichtrauchen, alles wird unter gesundheitlichen Aspekten betrachtet. Viele Regalmeter an Ratgebern geben kriegsentscheidende Informationen für die große Schlacht gegen den Tod, und diese Schlacht, meine lieben Leserinnen und Leser, so steht es überall, beginnt natürlich heute!
Die Parole lautet: Man muss etwas tun für die Gesundheit, von nichts kommt nichts, wer stirbt, ist selber schuld! Den Tod zu besiegen, das suggerieren all diese Texte, ist im Grunde ein Leichtes, wenn man nur rechtschaffen lebt und sich strikt an alle Gebote hält. Das sind leider weit mehr als die alten zehn, aber es stehen zur Aufzeichnung dieser ultimativen Ratschläge ja auch nicht bloß zwei läppische Steintafeln zur Verfügung. Das ist für die, die sich angstvoll an all das halten, nicht sehr lustig, und Humor ist in dieser schönen neuen Gesundheitswelt dann auch vergleichsweise selten. Aber es geht ja auch um nichts weniger als um alles oder nichts, um Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein, und da darf man schon ernsthaften Einsatz erwarten.
Das kann dann auch mal gründlich schiefgehen. Zurückgeblieben nannte man früher eigentlich einen bedauernswerten Menschen, der noch ein bisschen kindlich wirkte und geistig nicht ganz auf der Höhe war. Anti-Aging heißt so etwas heute auf Dummenglisch, aber plötzlich soll das nicht mehr bedauernswert, sondern erstrebenswert sein. Neuerdings möchte man gerne zurückbleiben. Man möchte jünger sein, als man ist. Nun wollen auch unsere Kinder mal Biene Maja oder Benjamin Blümchen sein, und wir machen ihnen dann vorsichtig klar, dass das leider nicht geht, was sie mit zunehmendem Alter auch begreifen. Aber bei den Anti-Agern funktioniert das nicht. Sie weigern sich einfach, älter und klüger zu werden. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, nicht zu altern, und weisen jeden vorsichtigen Hinweis darauf, dass so etwas nicht geht, empört von sich.
Nun hat es das Schicksal aber so eingerichtet, dass wir alle unvermeidlich gleichermaßen altern, geistig und körperlich. Das hat Vor- und Nachteile. Als Kind möchte man nicht so entsetzlich phantasielos sein wie ältere Menschen, und als Älterer ist man froh, dass man nicht mehr so klein ist, weil man jetzt besser an den guten Likör kommt. So hat jedes Alter etwas für sich, aber eines ist klar: Wer das Altern bloß als Verhängnis sehen kann, wird ein unglücklicher Mensch. Denn alle altern, ob sie wollen oder nicht.
Nun gibt es schon lange ein paar äußere Hilfsmittel, um etwas jünger auszusehen, als man eigentlich ist. Solche erfreulich anzusehenden Fälschungen sollen hier gar nicht kritisiert werden. Aber schon wenn alle möglichen angeblich unerlässlichen Körperübungen angepriesen werden, wird es heikel. Denn all diese Maßnahmen sind zeitaufwendig, und viel Zeit hat man eigentlich nicht mehr. Die in den höchsten Tönen gepriesenen medizinischen Maßnahmen, die die biologische Alterung angeblich mit Sicherheit bremsen sollen, sind bei Licht besehen eine ziemlich mickrige Antwort auf eine große Sehnsucht.
In Wirklichkeit gibt es nur eine einzige, wissenschaftlich eindeutig belegte Maßnahme, mit der man sicherstellen kann, dass man möglichst spät stirbt: Man muss sich alte Eltern aussuchen – was aber nun einmal leider nicht möglich ist. Wenn nämlich beide Eltern über hundert Jahre alt geworden sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man selber auch sehr alt wird, egal wie ungesund man lebt. Und wenn die Eltern beide mit fünfzig sterben, dann helfen mutmaßlich auch alle Anti-Aging-Aktivitäten nichts. Solche Einsichten sind zugegebenermaßen nicht sehr wirtschaftsfördernd, und in gesundheitsgläubigen Ohren klingen sie wie Blasphemie. Doch leider spricht vieles dafür. Nichts also gegen sinnvolle gesundheitsfördernde Maßnahmen, aber Anti-Aging ist nichts anderes als eine maßlose Verheißung, eine
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