Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Häftlinge anbauten. Dann bekam er eine Stelle in der staatlichen Vollzugsanstalt von Louisiana in Angola. Wieder Ackerland, fernab aller Zivilisation. Ich habe auf dem Gefängnisgelände gewohnt, was Ihnen vielleicht seltsam erscheint. Aber mich hat es nicht gestört, am Arbeitsplatz meines Vaters zu leben. Erstaunlich, an was man sich alles gewöhnt. Es war sein Vorschlag, das GPFW hier draußen zwischen Gestrüpp und Sümpfen zu bauen, und weil die Frauen die Anlage selbst pflegen, kostet es den Steuerzahler nur ein Minimum. Man könnte wohl sagen, dass mir Gefängnisse in Fleisch und Blut übergegangen sind.«
»Hat Ihr Vater irgendwann mal hier gearbeitet?«
»Nein, nie.« Sie lächelt spöttisch. »Ich kann mir meinen Vater nicht vorstellen, wie er zweitausend Frauen bewacht. Das hätte ihn ein wenig gelangweilt, obwohl einige der Insassinnen viel schlimmer sind als die Männer. Aber zurück zu den Fällen im Norden. Ich frage mich, ob auch wirklich alle Täter dingfest gemacht wurden.«
»Ich hoffe es.«
»Wenigstens können wir sicher sein, dass Dawn Kincaid hinter Schloss und Riegel sitzt, und ich glaube, dass das auch so bleibt. Angeblich ist ja der Stress schuld an ihren psychischen Problemen. Ist das zu fassen? Denken Sie nur an den Stress, den sie verursacht hat.«
Vor einigen Monaten wurde Dawn Kincaid ins Butler State Hospital verlegt, wo Ärzte entscheiden werden, ob sie verhandlungsfähig ist. Tricks. Simulantentum. Lasst die Spiele beginnen.
»Schwer vorzustellen, dass sie ganz allein so viel Unheil gestiftet und diese grausigen Morde begangen haben soll. Am schlimmsten finde ich die Sache mit dem armen kleinen Jungen. « Tara redet über Dinge, die sie nichts angehen, und mir bleibt nichts anderes übrig, als sie gewähren zu lassen. »Ein hilfloses Kind umzubringen, das im Garten spielt, während die Eltern ahnungslos zu Hause sitzen? Einem Kind oder einem Tier Schmerz zuzufügen ist unverzeihlich«, spricht sie weiter, als wären Erwachsene als Opfer noch halbwegs vertretbar.
»Ich wollte nur wissen, ob Kathleen das Foto behalten darf.« Ich bestätige ihre Informationen weder, noch streite ich sie ab. »Ich dachte, sie möchte das vielleicht.«
»Ich sehe da kein Problem.« Jetzt wirkt Tara Grimm verunsichert, und als sie mir das Foto über den Tisch reicht, erkenne ich den Grund in ihren Augen.
Warum gibst du ihr ein Foto von ihm? , denkt sie. Kathleen Lawler trägt indirekt die Schuld an Jack Fieldings Tod. Nein, nicht indirekt , schießt es mir durch den Kopf, während die Wut weiter brodelt. Sie hatte Sex mit einem Minderjährigen, und das Kind, das sie zusammen gezeugt haben, wuchs zu Dawn Kincaid, seiner Mörderin, heran. Direkter kann es wohl kaum werden.
»Ich weiß nicht, ob Kathleen neuere Aufnahmen von ihm kennt«, beantworte ich Tara Grimms unausgesprochene Frage und verstaue das Foto wieder im Umschlag. »So wie auf diesem Bild möchte ich ihn in Erinnerung behalten. Es ist ein Foto aus besseren Tagen.«
Ich hoffe, dass sich Kathleen mir beim Anblick dieses Fotos öffnen wird.
»Hat man Ihnen gesagt, warum ich sie in Einzelhaft verlegt habe?«, erkundigt sich Tara.
»Mir ist nur die Tatsache bekannt«, entgegne ich absichtlich ausweichend.
»Hat Mr. Brazzo es Ihnen denn nicht erklärt?« Zweifel schleichen sich in ihre Miene, als sie die Hände auf der Platte ihres ordentlichen Schreibtischs aus Eichenholz verschränkt.
Leonard Brazzo ist ein Strafverteidiger, den ich deshalb brauche, weil ich nicht vorhabe, mich der Gnade eines überarbeiteten oder unerfahrenen Staatsanwalts zu überantworten, wenn Dawn Kincaid wegen ihres Mordversuchs an mir vor Gericht kommt. Ich bin nämlich überzeugt, dass das Anwaltsteam, das sie kostenlos unter seine Fittiche genommen hat, ihren Überfall auf mich in meiner eigenen Garage als zu entschuldigenden Zwischenfall darstellen will. Sie werden behaupten, ich sei selbst schuld daran, dass sie mich in der Dunkelheit von hinten angegriffen hat. Dass ich noch am Leben bin, ist reine Glückssache, und als ich nun in Tara Grimms von Efeu überwucherten Büro sitze, stört es mich mehr, als ich mir eingestehen will, dass mein Überleben im Grunde genommen nicht mein eigenes Verdienst ist.
»Ich habe lediglich gehört, dass sie zu ihrer eigenen Sicherheit in Einzelhaft verlegt wurde«, entgegne ich, während ich an die Schutzweste Klasse 4A mit den integrierten Kevlarplatten denke. Ich erinnere mich an die starre Nylonoberfläche der Weste
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