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Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Titel: Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wie die Frauen mich betrachten. Den meisten werde ich nie begegnen, obwohl ich einige Namen kenne, nämlich die der Insassinnen, deren berüchtigte Fälle durch die Medien gingen und deren grausige Taten auf Fachtagungen erörtert wurden. Ich widerstehe der Versuchung, mich umzuschauen oder mir anmerken zu lassen, dass ich mir der Blicke bewusst bin, und frage mich, welcher der dunklen Schlitze wohl ihr Fenster ist.
    Für Kathleen Lawler hat dieser Besuch sicher eine große emotionale Bedeutung. Vermutlich denkt sie in letzter Zeit an kaum etwas anderes mehr. Für Menschen wie sie bin ich die letzte Verbindung zu denen, die sie verloren oder umgebracht haben. Ich bin sozusagen der Ersatz für den Toten.

2
    Die Leiterin der Vollzugsanstalt heißt Tara Grimm. Ihr Büro am Ende eines langen blauen Flurs wurde von den Gefangenen, für die sie verantwortlich ist, möbliert und ausgestattet.
    Schreibtisch, Couchtisch und Stühle bestehen aus lackierter, honiggelber Eiche und haben eine gedrungene Form. Für mich besitzen sie einen gewissen Charme, denn ich bevorzuge fast immer Handarbeit, auch wenn sie derb ausfällt. Ranken mit herzförmigen bunten Blättern drängen sich in Blumenkästen auf den Fensterbrettern, schlängeln sich von selbstgezimmerten Bücherregalen herab, sind über die Seiten drapiert wie Fahnen und ergießen sich in wildem Gewirr aus Hängetöpfen. Als ich Tara Grimm zu ihrem grünen Daumen beglückwünsche, teilt sie mir mit ruhiger, melodischer Stimme mit, die Insassinnen pflegten ihre Zimmerpflanzen. Sie kennt nicht einmal die Namen der Kriechgewächse, wie sie sie nennt, aber es könnte Philodendron sein.
    »Epipremnum pinnatum.« Ich berühre eines der gelbgrün marmorierten Blätter. »Besser bekannt als Efeutute.«
    »Das Zeug wächst wie der Teufel, und ich erlaube ihnen nicht, es zurückzustutzen«, erwidert sie. Sie steht am Bücherregal hinter ihrem Schreibtisch, wo sie gerade eine Ausgabe von Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern zurückstellt. »Mit einem kleinen Schössling in einem Wasserglas fing es an. Nun benutze ich die Pflanzen als Anschauungsmaterial für eine wichtige Lektion, die diese Frauen auf dem Weg, der sie hierhergeführt hat, missachtet haben: Passt auf alles auf, was Wurzeln schlägt, sonst dominiert es eines Tages euer Leben.« Sie stellt ein weiteres Buch ein: Die Kunst des Manipulierens . »Ich weiß nicht.« Sie betrachtet die Pflanzen, die das Zimmer überwuchern. »Allmählich wird es hier doch ein bisschen eng.«
    Ich schätze die Direktorin auf Mitte vierzig. Sie ist hoch gewachsen, hat geschmeidige Bewegungen und wirkt in ihrem schwarzen wadenlangen Kleid mit Schalkragen und der Goldmünze, die an einer Kette um ihren Hals hängt, seltsam deplatziert hier, so als hätte sie sich eigens für diesen Tag feingemacht. Vielleicht ja wegen der Männer, die gerade gegangen sind. Möglicherweise sind es wichtige Leute. Tara Grimm hat dunkle Augen und hohe Wangenknochen und trägt ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt. Ihren Beruf sieht man ihr nicht an, und ich frage mich, ob auch schon andere auf diesen absurden Gedanken gekommen sind. Im Buddhismus ist Tara die Mutter der Befreiung, was diese Tara eindeutig nicht ist. Grimm passt besser in ihre Welt.
    Als sie ihren Rock glattstreicht und sich hinter den Schreibtisch setzt, nehme ich auf dem Holzstuhl gegenüber Platz. »Erst einmal muss ich mit Ihnen alles durchgehen, was Sie Kathleen mitbringen wollen«, erklärt sie mir den Grund, warum ich zu ihr ins Büro geschickt worden bin. »Sie kennen den Ablauf ja sicher.«
    »Eigentlich besuche ich selten jemanden im Gefängnis«, entgegne ich. »Höchstens auf der Krankenstation oder noch schlimmer.« Das heißt, wenn ein Häftling forensisch untersucht werden muss oder tot ist.
    »Falls Sie Unterlagen oder andere Dokumente dabei haben, um sie mit ihr durchzuarbeiten, muss ich sie zuerst genehmigen «, teilt sie mir mit, worauf ich ihr noch einmal sage, dass ich nur privat hier bin. Das ist zwar vom gesetzlichen Standpunkt her richtig, entspricht aber nicht ganz der Wahrheit.
    Kathleen Lawler gehört gewiss nicht zu meinem Freundeskreis, und ich werde ihr mit Bedacht und vorsichtig Informationen entlocken. Ich werde sie auffordern, mir zu erzählen, was ich wissen will, ohne ihr zu verraten, wie wichtig es mir ist. Hatte sie im Laufe der Jahre Kontakt zu Jack Fielding? Was geschah während der Phasen, in denen sie auf freiem Fuß war? Meinen

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