Blut im Schnee
nickte und warf einen Seitenblick auf den Toten. Er hoffte für den Mann, dass er die letzten Minuten seines Lebens nicht bewusst erlebt hatte. Die Schmerzen, die der vielleicht hatte ertragen müssen, wollte er sich gar nicht ausmalen.
„Penis und Hodensack wurden säuberlich voneinander getrennt, wobei davon auszugehen ist, dass der erste Schnitt nur den Penis entfernt hat und der Täter anschließend die Hoden abschnitt. Bei ihm hier“, wieder deutete Bartsch auf den Toten, „ist zu erkennen, dass das Messer zwei Mal angesetzt wurde. Bei den beiden Ersten war das nicht so deutlich auszumachen.“
„Ich frage mich die ganze Zeit, was der Täter mit dem ungewöhnlichen Souvenir will.“
Der Pathologe zuckte mit den Schultern. „Hm, fragen Sie mich das nicht. Ohne Konservierung beginnt das Gewebe sich rasch zu zersetzen und riecht entsprechend. Vielleicht friert er die Hoden ein, um das zu verhindern. Wenn der Täter aber aus einem medizinischen Umfeld kommt, wäre es denkbar, dass er seine Andenken in Formaldehyd einlegt. Jemand, der an Midazolam herankommt, hat sicherlich auch Zugang zu anderen Mitteln.“
„Halten Sie es für möglich, dass der Täter Arzt ist?“
„Möglich, aber ein ausgebildeter Mediziner würde eher zu einem Skalpell greifen. Medizinisches Fachpersonal, aus einer Klinik oder Praxis, in der ambulante Operationen durchgeführt werden, käme ebenso infrage, doch auch die würden problemlos an ein Skalpell kommen.“
„Ist das Ihre Meinung als Mediziner oder Ihre persönliche?“
„Beides. Sie sind der Ermittler, ich sage Ihnen nur, was ich von meiner Seite aus beitragen kann, damit Sie den Fall lösen können.“
„Hatte er Alkohol im Blut?“, erkundigte sich Joachim.
„Ja, warten Sie“, erwiderte Bartsch und blätterte durch ein paar Seiten, die auf einem Klemmbrett befestigt waren. „0,7 Promille Blutalkohol. Was sich durch den Mageninhalt erklärt. Er hat Rotwein zu seiner letzten Mahlzeit getrunken. Wollen Sie wissen, was er gegessen hat?“
„Nein“, Joachim räusperte sich, „es reicht, wenn Sie das in Ihrem Bericht erwähnen.“ Allein die Vorstellung, den Mageninhalt des Toten zu analysieren, ließ ihn sauer aufstoßen. An manche Dinge gewöhnte man sich nie, egal wie lange man schon im Dienst war.
„Wann brauchen Sie ihn?“
„Sobald Sie ihn fertig haben. Was mich auf eine Frage bringt. Ist Ihre Untersuchung abgeschlossen? Sein Lebensgefährte möchte sich von ihm verabschieden.“
„Ja. Was die Kleidung angeht, die haben Ihre Kollegen schon abgeholt.“
Joachim wunderte das nicht. Die Kollegen vom K7, deren Aufgabenfeld die Spurensicherung war, hatten bereits die Tatorte gewissenhaft unter die Lupe genommen. Nur war da leider nichts zu finden gewesen, was auf den Täter schließen ließ. Hoffentlich hatten sie mit der Kleidung des jüngsten Opfers mehr Glück. Käme der Täter tatsächlich aus einem medizinischen Umfeld, war damit allerdings nicht zu rechen. Die nicht vorhandenen Fingerabdrücke ließen darauf schließen, dass er zumindest Handschuhe trug, wenn er auch kein Skalpell verwendete.
„Vielleicht ist es für Sie von Interesse, dass außer der Verstümmelung zwei weitere Verletzungen auszumachen sind. An der Rückseite der linken Schulter und am Hinterkopf hat der Tote Prellungen. Diese muss er sich kurz vor dem Tod zugezogen haben.“
„Gefunden wurde er auf dem Radweg am Moselufer, unter einer Brücke. Er wird wohl auf den harten Boden aufgeschlagen sein“, erwiderte Joachim.
In seinem Kopf spulte sich ein Film ab, wie die Tat abgelaufen sein könnte. Das benebelte Opfer wurde von seinem Mörder geschubst, worauf dieses stürzte. Was daraufhin folgte, hatte er am Fundort deutlich gesehen. Das Ziehen in seinem Unterbauch ließ ihn erneut hoffen, dass Martin Brauer davon nichts gespürt hatte.
Der Pathologe deckte den Toten komplett zu. „Sie wissen ja, wo Sie ihn finden, wenn Sie mit den Angehörigen zurückkommen. Sobald der Bericht fertig ist, bekommen Sie ihn.“
„Danke, Doktor Bartsch. Ich hoffe, Sie müssen nicht allzu schnell wieder herkommen“, sagte Joachim zum Abschied.
Als er das Gebäude verließ, war es schon wieder dunkel. Er mochte den Winter einfach nicht.
***
Dienstag
Das Handy klingelte und Thorsten zuckte erschrocken zusammen. In der Stille des Hauses klang die Anrufmelodie viel zu fröhlich. Er hatte die vergangenen zwei Nächte kaum geschlafen, im Gegensatz zu Kim, die oben im Gästezimmer noch
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